Die EU hat kein Recht auf die EG

■ Europäische Gemeinschaft oder Europäische Union?

Brüssel (taz) – Ein Wiener Journalist hat sein eigenes System entwickelt: Wenn er nett sein will, dann spricht er „liebevoll von der EG“, wenn er seine Landsleute wieder mal vor dem Brüsseler Moloch warnen muß, dann schreibt er „EU“. Viele Zeitungen haben konsequent auf EU umgeschaltet. Andere trauen ihren Lesern die Umstellung auf den neuen Namen noch nicht zu oder sind, wie die italienische La Repubblica, einfach nur nostalgisch und halten deshalb an der EG fest.

Seit dem 1. November soll die EG eigentlich EU oder Europäische Union heißen, so steht's im Artikel A des Maastrichter Vertrages. Aber selbst die EG-Kommission bringt Schriftliches immer noch unter ihrem alten Namen heraus. Der Ministerrat dagegen läßt seit knapp zwei Wochen die Briefköpfe überstempeln wie Inflationsgeld.

Es sieht so aus, als ob die Verwirrung anhalten würde. Die europäischen Institutionen sind von der Europäischen Union offensichtlich kalt erwischt worden. Da war nichts vorbereitet, kein Briefkopf, keine neuen Ausweise, nicht einmal Richtlinien. Noch am 8. November kamen die 12 Außenminister morgens als EG-Ministerrat zusammen, um nach einstimmigem Beschluß als EU-Ministerrat zum Mittagessen zu gehen. Die Kommission hat sich am 17. November in einem Akt heimlicher Selbsttaufe in „Europäische Kommission“ umbenannt. Der Name ist weise gewählt, läßt er doch offen, zu welcher Variante sich die Kommission hingezogen fühlt.

Denn inzwischen hat sich herausgestellt, daß das Kleingedruckte im Vertrag komplizierter ist als gedacht. Aus der EG ist nicht einfach die EU geworden. Die EU ist EG plus gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz- und Polizei-Zusammenarbeit. Die EG ist also eine der drei Säulen, die der Maastrichter Vertrag für die Europäische Union vorsieht. Alles, was mit dem Binnenmarkt, mit Wirtschaft, Währung, Arbeit und Gesundheit zusammenhängt, bleibt weiterhin EG.

John Major, berühmter Widerständler gegen die europäischen Integration, hat mittlerweile wissen lassen, er werde mit EU sparsam umgehen und auch künftig EG nennen, was Sache der EG ist. Dahinter steckt der Gedanke, daß die EG-Behörden sich weiterhin mit ihren angestammten Aufgaben beschäftigen sollen und alles Zusätzliche, was der Maastrichter Vertrag so bringt, in der Union behandelt wird.

Es ist ein etwas plumper Versuch, die zentralistischen Elemente Kommission und Parlament von den beiden neuen Säulen der äußeren und der inneren Sicherheit fernzuhalten. Die blieben dann dem föderalen Element Ministerrat allein vorbehalten. In der Praxis dürfte das kaum durchzuhalten sein. Denn dann müßten die Minister der 12 Mitgliedsstaaten vor jedem Tagesordnungspunkt entscheiden, ob das nun ein EG- oder eine EU-Punkt ist.

Auf mittlere Sicht wird sich vermutlich doch die Europäische Union als Sammelbegriff durchsetzen, so wie aus der EWG die EG geworden ist, obwohl die Lage ähnlich verzwickt war. Aber die Verwirrung wird noch ein bißchen anhalten. Die EU hat keine Rechtspersönlichkeit, sie kann keine Verträge unterschreiben. Das kann bisher nur die EG oder eben die Versammlung der Mitgliedstaaten, also der Ministerrat. Daran haben wohl auch die Richter am Europäischen Gerichtshof gedacht, als sie sich vor wenigen Tagen festlegten, ihre Urteile auch künftig im Namen der Europäischen Gemeinschaft zu fällen. Alois Berger