Nachruf
: Anthony Burgess tot

■ Autor von „A Clockwork Orange“ in London mit 76 an Krebs gestorben

Anthony Burgess' Name ist unlöslich mit dem Titel seines berühmtesten Romans verbunden: „Uhrwerk Orange“ (A Clockwork Orange, 1962). Das hat Burgess nie besonders gefallen, zumal dieser Ruhm hauptsächlich das Werk eines anderen ist – von Stanley Kubrick nämlich, der den Stoff 1971 verfilmte.

Burgess, der in Manchester geboren wurde und eigentlich Komponist werden wollte, ist, wie er ein wenig kokett behauptet hat, unfreiwillig zum Vielschreiber geworden. 1959 wurde er unter dem Verdacht auf eine schwere Krebserkrankung ins Krankenhaus eingewiesen, wo man ihm nur noch ein Jahr zu leben gab. In diesem Jahr, dem legendären Jahr seines Durchbruchs, schrieb er fünf Romane, um „meiner Frau etwas Persönliches zu hinterlassen“. 1962 entfachte „A Clockwork Orange“, der Roman über den gewalttätigen Alex und seine Kumpels – „droogs“, wie sie in Burgess' Kunstsprache „Nadsat“ heißen –, eine jener Debatten über die wertfreie Darstellung von Gewalt, die mittlerweile zum täglichen Brot der Kulturkritiker aller Lager geworden sind. (Im englischen Fernsehen darf der Film bis heute nicht in voller Länge gezeigt werden.)

Burgess schildert aus der besonders krassen Perspektive eines Ich-Erzählers, wie die jugendlichen Delinquenten durch die Straßen ziehen, unbescholtene Bürger drangsalieren und Frauen vergewaltigen. Der Autor läßt die Leserschaft aus dem Blickwinkel der subjektiven Kamera an den Gewaltexzessen

teilnehmen. Psychologische oder pädagogische Relativierungen der Zerstörungslust finden in der Welt dieses Autors keinen Halt: Burgess, der sich in der protestantischen Gesellschaft Englands mit Lust als katholischer Außenseiter inszenierte, beharrt darauf, daß der Mensch sich frei zwischen gut und böse zu entscheiden habe. Es ist kein Zufall, daß der Roman in diesem Jahr zum ersten Mal in einer brauchbaren Übersetzung erschienen ist. Wenn nun, angesichts realer jugendlichen Gewalt gegen Fremde, „A Clockwork Orange“ wieder als Menetekel gelesen wird – Frank Castorf hat den Stoff mit echten Skins an der Berliner Volksbühne inszeniert –, so hat das sicherlich wenig mit der Attraktivität von Burgess' Katholizismus zu tun. Was Burgess' bekanntestes Werk für Zeitgenossen interessant macht, ist die Radikalität, mit der dieser Autor fragt, der aus Konservativismus zum Anarchisten wurde. jl