Heitmanns perfekte Rolle rückwärts

■ Kohls Kandidat möchte nicht mehr Bundespräsident werden und schlägt den SPD-Mann Schröder vor / Die SPD hält an Johannes Rau fest / Kohl will keinen Ossi mehr / Roman Herzog wartet gelassen

Bonn/Berlin (taz) – Der Spuk ist vorbei: Gestern morgen erklärte der sächsische Justizminister Steffen Heitmann, den Helmut Kohl am 9.September als CDU-Anwärter für das Amt des Bundespräsidenten präsentiert hatte, in Dresden den Rücktritt von seiner Kandidatur. Nach 78 Tagen heftiger öffentlicher Debatte um seine Person und sein konservatives Weltbild sinkt der einstige Kirchenjurist in die ihm angemessene Bedeutungslosigkeit zurück. Er wolle, so begründete Heitmann seinen nicht über die Maßen überraschenden Entschluß, den Parteien damit die Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten ermöglichen.

Den mit Abstand klügsten Schachzug seiner ansonsten rundum mißratenen Kandidatur präsentierte Heitmann in der Begründung seines Rückzuges. Darin empfahl er nachdrücklich den ostdeutschen Sozialdemokraten Richard Schröder als Kandidaten, auf den sich alle Parteien einigen könnten und sollten.

Helmut Kohl bedauerte, daß sein Schützling so schnell aufgab, und klagte einmal mehr über die „unerträgliche Kampagne, mit der Steffen Heitmann in den letzten Monaten persönlich angegriffen und diffamiert worden“ sei.

Die inzwischen blind auf Johannes Rau als einzigen möglichen Kandidaten eingeschworene SPD ignorierte Heitmanns Votum für Schröder und erschöpfte sich in triumphalistischer Rhetorik. „Mit dem heutigen Tag hat die Kanzlerdämmerung begonnen“, erklärte ihr Bundesgeschäftsführer Günther Verheugen und wertete Heitmanns Rücktritt als „politisches Debakel für Helmut Kohl und die Unionsparteien“. Zwar wolle die SPD sich parteiübergreifenden Gesprächen zur Kandidatenfindung nicht entziehen, doch als Verheugen gestern mittag vor die Presse trat, hatte Parteichef Rudolf Scharping dem Bundeskanzler schon per Telefon mitgeteilt, daß die „Chance zur Gemeinsamkeit“ für die SPD nur einen Namen haben kann: Johannes Rau.

Das wiederum gab Kohl am Abend die Gelegenheit, Gespräche mit der SPD für überflüssig zu erklären. Man werde jetzt schon sehr bald mit dem Koalitionspartner FDP über einen gemeinsamen Kandidaten fürs Präsidentenamt beraten, sagte Kohl. Beide Seiten hätten sich darauf verständigt, Namen vorerst nicht zu nennen. Am Ende dieser Gespräche wird wahrscheinlich aber der Präsident des Verfassungsgerichts, Roman Herzog, als gemeinsamer Koalitionskandidat stehen. Kohl machte dies indirekt klar, als er erklärte, nach Heitmanns Rückzug sei ein Kandidat aus den neuen Ländern kein Thema für die Union mehr. Die FDP hatte bereits in den letzten Wochen verschiedentlich Respekt für Herzog bekundet und erklärt, ihn als „parteiübergreifenden“ Kandidaten mittragen zu können. Vorerst allerdings halten die Liberalen noch an Hildegard Hamm-Brücher fest.

Auch der Förderverein „Bürgerpräsident Jens Reich e.V.“ bleibt seinem Protagonisten treu. Reich selbst hielt seine Kandidatur aufrecht, bekundete aber seinen Respekt für Schröder.

Die SPD hatte Heitmanns Schröder- Vorschlag schon am Mittag als „Winkelzug“ abgetan. Mit Schröder sei telefonisch gesprochen worden, sagte Generalsekreträ Verheugen. Das Ergebnis: „Richard Schröder unterstützt die Kandidatur von Johannes Rau und wird sich nicht von Dritten in eine Kandidatur gegen ihn drängen lassen.“ Über Raus Chancen, am 24.Mai in Berlin von der Bundesversammlung, in der die Bonner Regierungskoalition die Mehrheit hat, wirklich gewählt zu werden, sprach Verheugen nicht.

Johannes Rau erklärte zu den Absichten Schröders: „Ich weiß, daß er für dieses Amt nicht zur Verfügung steht. Ich schließe daraus, daß hier auf einem Nebenfeld eine Diskussion entfacht wird, von der ich nicht glaube, daß sie entsteht.“ Gestern lief der SPD nur Manfred Stolpe aus dem Ruder. Stolpe nannte Schröder einen geeigneten Kandidaten. Kurz darauf kanzelte seine Kabinettskollegin Regine Hildenbrandt Schröder allerdings mit den Worten ab: „Von Pfarrern haben die Leute nun weiß Gott genug.“

Der dank der SPD nun chancenreichste Kandidat Roman Herzog äußerte sich gestern eher zurückhaltend. Jetzt müßten die Führungsgremien der CDU/CSU beraten, erklärte der CDU-Mann. Falls er dann gefragt werde, wolle er mit seiner Frau und mit sich selbst „zu Rate gehen“. M.S.

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