■ Kolumne: D.'s Beinahe-Tod wegen „Natural Stereo“ Rettung
Herbert läßt auf seine Platten nichts kommen. Stolz präsentiert er mir The Master, jenes legendäre 1973er Werk von Chico Hamilton mit Little Feat als Begleitband. Hat er in den USA aufgetrieben. Stand auf meiner Suchliste. „DM 45,-“ fordert das Preisschild (den leicht angekratzten „$ 5“-Aufkleber unten in der Ecke entdecke ich erst zu Hause, jetzt kann ich mir ein ungefähres Bild von den Verdienstmöglichkeiten im Second-Hand-Platten-Business machen.) Ich versuche, nicht begeistert, sondern skeptisch zu gucken. „Die gibt's aber jetzt als CD bei Groover's für zwanzig Mark“, wende ich ein. Herbert tut, als hätte er mich nicht gehört. Ich muß an den umsatzfördernden „Save The Vinyl“-Aufkleber an der Tür denken. Das einzige, was mir jetzt noch einfällt ist, noch mehr zu kaufen, um am Ende den Preis per Mengenrabatt drücken zu können. Also los: Oh - Jim Pulte! Ah - Gene Pitney singt Burt Bacharach! Mmh - Progressive Pickin von Chet Atkins! Für siebzig Mark - schluck! Oh, nein - gleich zwei Platten von den Anita Kerr Singers: We Dig Mancini und Bert Kaempfert Turns Us On! Herzrasen! Ich muß sterben!
Herbert kommt vorbei und betrachtet wohlgefällig den Stapel in meiner Hand. „Siebzig Mark für Chet Atkins finde ich aber unverschämt viel“, schimpfe ich ihm hinterher. „Das liegt daran, daß sie in 'Natural Stereo' ist. Es gibt Sammler, die müssen alles haben, was in 'Natural Stereo' ist. Sonst ist Chet Atkins im allgemeinen nicht so teuer.“ Zwei zu null für Herbert. Was immer auch „Natural Stereo“ sein mag. Doch dann schweift mein Blick über das Cover von Progressive Pickin: von wegen „Natural Stereo“! Nichtmal stinknormales Stereo - LPM-Bestellnummern bedeuten mono! „Sonst ist Chet Atkins nicht so teuer...“, hat Herbert gesagt? Kann es sein, daß ich vor einem großen Triumph stehe?
Am Ende habe ich noch zwei Laura-Nyro-US-Originale mit Textbeilagen und so einiges anderes nicht stehen lassen können. Genau vierhundert Mark lasse ich in Herberts Ladenkasse. Sein Fehler bei Progressive Pickin hat ihn etwas aus dem Konzept gebracht (er hat die Platte mit einer anderen Atkins-Platte verwechselt, die er gerade eingekauft hat): Ich bekomme genau dreiundsechzig Mark Rabatt. „Damit hast du die Chet Atkin jetzt für sieben Mark bekommen“, sagt er leicht anklagend. Ich habe kein Mitleid mit ihm. Mehr mit mir selber, schließlich mußte ich schweren Herzens auf We Dig Mancini verzichten. 65 Mark für eine Platte, die ich mir gerade für etwa die Hälfte als Japan-CD gekauft habe, nein. Immerhin darf ich Bert Kaempfert Turns Us On mit nach Hause tragen. Und was We Dig Mancini betrifft: „Die hole ich mir beim nächstenmal“, sage ich frech zu Herbert. „Die kauft ja eh keiner“ - „Wenn du das meinst“, sagt er. Er läßt eben nichts auf seine Platten kommen. Aber diesmal behalte ich recht. Wetten?
Detlef Diederichsen
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