: Die Spatzi-Echse
■ Jesus Lizard in der Markthalle
Um Himmels Willen. Jesus Lizard schon wieder. Hören die denn nie auf? Seit fünf Jahren geht das schon auf immer gleicher Ebene, schrill, wild, noisy, dabei kopfig verbrämt und oftmals einfach nur ideenlos reproduzierend. Der gut gepflegte Wahnsinn, dem die Inszenierung aus allen Poren quillt. Aus Chicago, auch bekannt als Guyville, wo dem jungen denkenden Mann die Welt gehört und, wenn's denn nicht House ist, lärmiger Hardcore immer noch was zählt. Daher stammt ja viel wohlüberlegte Kraftmusik, die mit der Extra-Portion „schräg“ überall Verbote aufhängt, welche das Leben zwar nicht glücklicher, aber so viel korrekter machen. Dabei geht nicht nur das Herz flöten, nein, nicht mal die bloße Oberfläche der Musik gewinnt durch dieses Reinheitsgebot, sondern erstarrt in der Sackgasse im Habitus rechthaberischer Verbohrtheit und keifiger Eckensteherei. Dort, die anderen und das Business verachtend, dort geht's der Krämerseele gut.
Halt, Stop. Alles ungerecht, alles gelogen. Diese vier sind eine gute Band, eine echte Band. Hardcore, harter, aber beileibe kein toter Kern. Musik, randvoll mit Emotionen, drängend, dräuend, hyperventilierend, wie Fliegen im fortwährenden Kampf mit der Fensterscheibe, raus, nichts wie raus, warum weiß ich nicht, aber es gelingt nicht. Beileibe nicht modisch, weder Coolness noch Strenge noch Rock'n'Roll werden hier kultiviert, höchstens die Sprache der Großstadt, wo sie krank und Stadt ist, ohne Lösung, ohne Romantik, ohne Sarkasmus. Das ist Jesus Lizard. Melodie und Katharsis, Treue über Jahre und Bewußtsein. Manifestiert in relativer Unabhängigkeit (engl: independent) aus Haltung heraus: an Korruptionsversuchen seitens der Trendverwurstungsindustrie hat es gewiß nicht gemangelt. So bleibt uns eine der weniger werdenden ernstzunehmenden Gruppen im Business-Zirkus der Nullaussagen und der Effektverwaltung, deren Härte Ausdruck hat, kein Selbstzweck ist.
Eine weitere Eigenart des Quartetts ist ihr, nicht nur genre-unüblicher Humor, der sich neben vielen kleinen Text-, Musik- und Drumherumdetails auch in der begrüßenswerten Kultur des Gespräches mit dem Publikum beweist. So ist ein häufiger Bestandteil eines Auftritts von Jesus Lizard ein gemeinsamer Abbau von Sprachbarrieren, bei dem spitzfindige Kollagen und Aphorismen zur deutschen Kultur hervorgezaubert werden. „Bück dich Spatzi, ich will fahren“, ist nur eine von vielen liebevollen Beschreibungen gesellschaftlicher Mißstände und nur einer von vielen Gründen warum dieses Konzert für Lebendige aller Art kein „kann“ und kein „darf“ ist. Uschi Steiner
7.12., Markthalle
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