Inspirierende Weltangst

■ Björk, die kindgebliebene Island-Punkerin, besucht Hamburg

Vor acht Jahren explodierte der Schuhkarton in der Max-Brauer-Allee, der damalige Independent-Abenteuerspielplatz mit dem Getränkenamen Kir, als die isländischen Punks der Gruppe K.U.K.L. sich dort auf das hingerissene Publikum losließen. Hart zerfaserte Gitarrenlicks und eine Menge recht romantischer Leichenschreie von Sänger und Sängerin demonstrierten eine störrische, in Schönheit zerstörte Musik, die den Unterschied zwischen gewaltiger und gewaltätiger Akustik bezeichnete. Die junge Sängerin Björk Gudmundsdottir bildete mit einem Kompagnon die Hauptfront der Gruppe, ebenso wie bei den später aus K.U.K.L.-Resten gegründeten Sugarcubes.

Bei diesem lockeren Ensemble, das aus einem Unterhaltungsbedürfnis heraus seine Unabhängigkeit suchte und am Umsturz wegen des Spaßes am Denken interessiert war, schien etwa zwei Jahre lang alles möglich: Der freundlich belächelte, in aller Milde und mit den besten Absichten herbeigeführte Kollaps des perfekten Pop-Songs stand an. Mit effektvoll auf Hallräume abgestimmten Klängen und Beschreibungen des Gottessohnes, wie er sich der freimütigen Sängerin nähert, kehrten die Sugarcubes das Popverständnis vieler von innen nach außen. Die Gruppe klang suspekt, wenn sich Gudmundsdottir Autounfälle vorstellte und beängstigend plausibel, wenn sie suggerierte, Massenmörder entweder nachzuvollziehen oder ihnen assistieren zu müssen.

Vor zwei Jahren trennten sich die Sugarcubes, „Björk“ zog nach London um und beleuchtet - kleine Taschenlampe, brenne freundlich! - seitdem auf Platte ihre und ihrer Kumpel Psychosen. Eine Single wie „Human behaviour“ jagt nicht, sondern massiert den Schrecken mit romantischem Rand jeden Hörerrücken ein paar Male rauf und runter; nicht nur wegen der plärrig-schönen Stimme. Björks Lieder enthalten das Angebot, inspirierende, aufklärende Weltangst schätzen zu lernen. Kristof Schreuf

6.12., Große Freiheit