„Wi sünd Milliardär und hungert darbi!“

■ Hamburg in der Hyperinflation 1923: Wucherpolizei, „wirkliche Goldmark“ und Geldhyänen     Von Kay Dohnke

Als am Ende des Ersten Weltkrieges nahezu alles Münzgeld vom Markt verschwunden war, begann das verrückteste Kapitel der deutschen Geldgeschichte - anfangs war es eher amüsant. Städte, Firmen und Privatleute ließen eigene Scheine drucken, hübsch bunt und witzig, und da sie innerhalb bestimmter Fristen dieses Wechselgeld wieder entgegennahmen, konnte man so sehr schön seine Kunden festhalten. Beim Bergedorfer Milchhändler Paul Boldt gab es 1-, 5-, 10- und 50-Pfennig-Scheine, das Restaurant Ehlers in der Hamburger Ifflandstraße, die Imperator-Bar, ja sogar die 2. Klasse des Lehrerseminars am Steinhauerdamm entwarfen wie viele andere bald eigenes Wechselgeld zu 50 Pfennig und 1 Mark.

Ein wenig auskennen mußte man sich aber im Wirtschaftsleben des Hamburger Raumes schon: 50-Pfennig-Scheine von Walter Nolte oder die 1- bzw. 2-Mark-Noten vom „Bürger-Militair“ waren nämlich Schwindelausgaben. Doch Sammler ließen sich auch diese Stücke nicht entgehen - wie denn überhaupt viele Scheine eben zu Sammelzwecken hergestellt wurden. Künstler gestalteten ganze Serien, für die in Zeitungsannoncen geworben wurde. Und manchmal stellten die aufgedruckten Sprüche jenen Ernst in Frage, der sonst in Sachen Geld stets im Spiel war: „Oha, wat is dat för 'ne Welt, wo so'n Lappen 'n Markstück gellt!“ war da zu lesen. Hagenbecks Tierpark mahnte auf seinen Scheinen ironisch „Mensch, schimp nich op de slechte Tied - wi hebbt hüt mehr Geld noch as Schiet!“ Schmunzelnd und oft im heimeligen Plattdeutsch versicherte man sich der gemeinsamen Skepsis gegenüber „denen da oben“ und ihrer Finanzpolitik.

Bald waren diese beschaulichen Verhältnisse vorbei: die Kosten des Wiederaufbaus, Reparationszahlungen an die ehemaligen Kriegsgegner und die weltweite Wirtschaftskrise heizten 1923 die Inflation an: Der Wert der Mark fiel ins Bodenlose und der Staat reagierte mit dem pausenlosen Nachdrucken von Banknoten. Ging es beim bunten Notgeld anfangs noch um Pfennige, wurden nun Millionenbeträge daraus. Die Panther-Zigarettenfabrik in Blankenese, Beiersdorf, die Hansa-Elektromotorenfabrik und andere warfen ihr Geld auf den Markt. Ein gewisser Panagiotis Avramikos druckte im September 1923 auf der Rückseite von Tabaksverpackungspapier 500.000-Mark-Scheine, und auch die Reichsbahn in Altona gab eigene Banknoten heraus.

„Oha, wat is dat för 'ne Welt, wo so'n Lappen 'n Markstück gellt!“

Als schließlich diese Geldvielfalt unüberschaubar wurde, verbot Hamburg die Ausgabe privater Scheine; Lehrer, Gastwirte und Milchhändler verloren so ein ungewöhnliches Betätigungsfeld – aber inzwischen hatten sie wohl längst andere Sorgen, denn im Unterschied zur vergleichsweise beschaulichen Phase der Geld- und damit Wirtschaftsgeschichte nach dem Krieg wehte nun ein rauherer Wind. Die sich rapide steigernde Inflation zog eine Verarmung und damit Verelendung breiter Bevölkerungsschichten nach sich. Tauschgeschäfte, die Flucht in beständige „Sachwerte“, Spekulation mit Krediten und die immer schneller werdende Abwertung der Mark verunsicherten die kleinen Leute. Und ihre Ersparnisse gingen zum Teufel.

Mit dem Anziehen der Preise war kaum mitzuhalten: eine Ausgabe des Hamburger „Echo“ kostete am 24. August 60.000 Mark, am Folgetag schon 100.000, Ende des Monats bereits 200.000 Mark. Für ein Pfund Butter waren 3 Millionen Mark auf den Tisch zu legen, Mitte September stieg dieser Preis auf 40 Millionen. Lohnverhandlungen fanden wöchentlich statt, aber niemand wußte mehr, was er für sein Geld noch bekommen konnte. Auch die Preisbindung kam ins Schwimmen, und so mancher Händler nutzte die Situation aus, um nebenher Millionengewinne zu machen - ohne damit noch viel anfangen zu können. Eine neugegründete Wucherpolizei zog über die Märkte und suchte nach Preisbetrügern.

Hamburgs Wirtschafts- und Alltagsleben nahm immer skurrilere Züge an. Bankbeamte durften ihren Arbeitsplatz nicht vor Geschäftsschluß verlassen, um einzukaufen – sie kannten schließlich die neue-sten Wechselkurse, ihr Einkaufsverhalten verursachte allgemeine Panik. Geld wurde bald lastwagenweise zur Verbrennung gefahren. Die Kinder konnten mit echten Scheinen spielen, bauten auf der Straße mit dicken Bündeln Türme. Ältere Banknoten gewannen durch Stempelaufdruck ein Vielfaches an Wert und blieben doch wertlos. Der Gelegenheitspoet H. Lindhorst brachte das tägliche Chaos auf die schlichte Formel: „Wi sünd Milliardär un hungert darbi.“ Not und Angst führten vermehrt zu Überfällen und Einbrüchen, es gab Plünderungen und Krawalle. Die Zahl von Selbstmorden besonders älterer Menschen nahm zu.

Die Not regte auch die Kreativität an. Da er das ewige Schlangestehen vor dem Postschalter leid war – von Tag zu Tag dauerte nun auch das Geldzählen immer länger – , machte ein Bürger in einem Leserbrief ans „Hamburger Echo“ folgenden Vorschlag: Beträge von mehr als einer Milliarde Mark sollten nur in Millionen-Scheinen, Beträge von mehr als 5 Millionen nur in Scheinen von 100.000 Mark an aufwärts entgegengenommen werden. Naive Vorstellungen: kostete doch bereits eine Woche später das „Hamburger Echo“ schon sechs Millionen Mark. Nicht etwa die Redaktion samt Verlagsgebäude, nein, nur eine stinknormale Ausgabe.

„Mensch, schimp nich op de slechte Tied - wi hebbt hüt mehr Geld noch as Schiet!“

Ende Oktober wurde Hamburg initiativ und schuf eine neue Währung, die Hamburger Goldmark - garantiert gedeckt, an den Dollar gebunden und folglich wertbeständig. Der Umgang damit, so schrieb das „Echo“, war eigentlich ein recht simples Verfahren: Da der Dollar zur Goldmark im festen Wechselkursverhältnis von 1 zu 4.2, zur Papiermark aber 1 zu 72.5 Milliarden stand, brauchte man nur eine Hamburger Goldmark = 72.5(Milliarden) : 4.2 = 17.264 Milliarden Papiermark zu rechnen – und das ohne Taschenrechner.

Eine kleine Schwierigkeit gab es bei diesen arithmetischen Übungen allerdings: um nicht ewig alle Preisschilder neu schreiben zu müssen, legten die Geschäftsleute nur eine Tafel mit der aktuell gültigen Teuerungszahl aus. Anfang November lag diese in Hamburg bei 11.247.177.000.000 - also elf Billionen 247 Milliarden 177 Millionen. War also beispielsweise ein Gegenstand mit 1.50 Mark ausgezeichnet, rechnete die kluge Hausfrau flugs 1.5 mal 11.247.177.000.000, teilte das Ergebnis wieder durch 17.264.000.000 - und wußte sofort, was sie in Goldmark zu berappen hatte.

Es waren in der Tat die Frauen, die sich mit solchen Rechenübungen in den Warteschlangen ihre Köpfe zerbrachen: Ehe die Männer nach Feierabend mit dem Lohn daheim ankamen, konnte man schon nicht mehr so viel für das Geld kaufen wie noch im Lauf des Tages. Daher holten die Frauen den Lohn lieber am Arbeitsplatz der Männer ab und machten die nötigen Besorgungen sofort. Alleinstehende bildeten Einkaufsgenossenschaften - wenn es denn überhaupt etwas zu kaufen gab. Immerhin trug die Einführung „sicheren“ Geldes in Hamburg zur Beruhigung der Bevölkerung bei.

Arithmetische Spitzenleistungen waren zu vollbringen - ganz ohne Taschenrechner!

Aber die Lage gestaltete sich bald noch komplizierter. Konnte schon niemand mehr mit den Preissteigerungen schritthalten, stiftete die Ausgabe des neuen Geldes erst einmal weitere Verwirrung: die Hamburger Goldmark, so mußte das „Echo“ klarstellen, sei eine „wirkliche Goldmark“ - ganz im Unterschied zur „sogenannten Goldmark“, die eben keine richtige sei, sondern nur eine Denkhilfe für die Preisfestsetzung. Schön und gut, nur wollten die Hamburger Händler kein Papiergeld mehr annehmen, was wiederum den „Hyänen des Geldmarktes“ neue Spekulationsmöglichkeiten brachte.

Die „Hyänen des Geldmarktes“ horteten Goldmark und tauschten sie zu üblen Kursen

Sie horteten Goldmark und tauschten sie vor den Läden bereitwillig in Papiermark um - natürlich zu üblen Kursen. Auch die offizielle Ermahnung, daß die Papiermark noch immer verbindliches Zahlungsmittel sei, half kaum weiter. Und wollte man tatsächlich hiermit bezahlen, gab es Schwierigkeiten der dritten Art: am 10. November ließ die Post bekanntmachen, daß Zahlungen mit kleinwertigen Scheinen eben wegen der langen Warteschlangen nur noch in wenigen Ämtern möglich seien - als „kleinwertig“ galten inzwischen Scheine mit Nennwerten unter 200 Millionen Mark.

„Kleinwertige Scheine“ - das war inzwischen alles unter 200 Millionen Mark

Kaum hatten die Hamburger den Währungsunterschied begriffen, mußten sie erneut umdenken: Mitte November - eine Nummer des „Echo“ kostete nun 60 Milliarden Mark, und die Stadt Altona gab inzwischen Geldscheine zu einem Vierteldollar aus - führte die Reichsregierung nach langen Diskussionen um „Bodenmark“ und „Roggenmark“ die Rentenmark ein. Sie war zwar im Wert mit der Goldmark gleich, nur hatte sich deren Verhältnis zur Papiermark mittlerweile auf 1 zu 600 Milliarden verändert. Die Faustformeln stimmten nicht mehr.

In Hamburg herrschte bald aufgrund des Nebeneinanders mehrerer „wertbeständiger“ Zahlungsmittel mit verschiedenen, oft willkürlichen Bewertungen ein Zustand völliger Preisanarchie. Noch über Wochen mußte man mit den drei Währungen und ihren höchst unterschiedlichen Dotierungen klarkommen, denn die Preisumstellung brauchte ihre Zeit.

Die Gauner blieben aktiv: Plötzlich stimmte das Warengewicht nicht mehr

Inzwischen blieben Betrüger aktiv: plötzlich stimmte das Gewicht der Waren nicht mehr, und das Auftauchen unterschiedlichster Banknoten regte Geldfälscher an. Bei 4.2-Goldmark-Scheinen der United Drydock Companies Ltd. New York, Hamburg Branch war Vorsicht geboten, denn eine solche Firma existierte nicht; mit Geld der Internationalen Galalith-Gesellschaft Hoff & Co. oder der Firma Föhrtmann & Behne in Harburg war aber alles ok. Und daß das Bankhaus Ludwig Tillmann das Gültigkeitsdatum handschriftlich auf seinen Scheinen vermerkte oder Hans Böhm am Krayenkamp 13 im Dezember 1923 den Wert seiner 5-Goldpfennig-Scheine auf Vierteln alter 100-Mark-Reichsbanknoten aufstempelte, brauchte niemanden mißtrauisch zu machen.

Noch bis zum Frühjahr 1924 hielten die Turbulenzen der Inflation an, erst dann stabilisierten sich die Preise.