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Neue Energie im Unterricht

■ Gesamtschule in Mitte erzeugt jetzt Strom mit Windkraft und Solarbaustein / Bewußtsein der Schüler soll geschärft werden / Erstes großes Projekt der Ebag

Wenn Jan Roelke in der Schule im Physikunterricht sitzt und an Versuchen teilnimmt, hat er zum benutzten Strom ein ganz besonderes Verhältnis: Weit mehr als ein Jahr Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft „Solarprojekt“ liegt hinter dem Neuntkläßler, ohne deren Engagement der Unterrichtsraum von anderen nicht zu unterscheiden wäre. Nun aber gibt es auf den Pulten 12-Volt-Strom- Anschlüsse, an denen 18 Schüler Experimente durchführen können. Die Energie liefert eine kombinierte Wind- und Solarstromanlage auf dem Dach der 3. Gesamtschule in Mitte.

Die Energiekomplettstation wurde der Schule in der Neuen Roßstraße jetzt symbolisch von der Ebag übergeben. Je 100 Watt könnten die kleine Windkraftanlage und der Sonnenkollektor maximal erzeugen, erklärte Ebag- Pressesprecher Wolfgang Beuche der taz. Pro Tag sei damit eine halbe Kilowattstunde Strom zu produzieren.

Bei dem Projekt gehe es jedoch keinesfalls um den Stromgewinn allein, so Beuche. Vielmehr solle den Schülern die bewußte Nutzung der Energie nähergebracht werden. Die Versuche im Physikunterricht sollten zukünftig alle und ausschließlich durch den auf dem Dach der Schule erzeugten Strom ermöglicht werden, sei das Ziel. Dazu werde die Energie in zwei großen Batterien gespeichert. Daß der Strom so nicht unbegrenzt zur Verfügung steht, hält Beuche für sinnvoll: Ressourcen-Knappheit könne auf diese Weise ebenfalls plastisch verdeutlicht werden.

So betonte auch Ebag-Vorstandsmitglied Jürgen Beier bei der Übergabe, daß die nächste Generation an regenerative Energien und die Notwendigkeit des verantwortungsbewußten Umgangs herangeführt werden müsse. Sechstausend Mark ließ sich das Ostberliner Strom-Unternehmen den erhofften Lernprozeß und die Image-Aufbesserung kosten, die Feuerwehr setzte die Anlage auf das Schuldach.

Diese spektakuläre Aktion liegt allerdings schon elf Monate zurück. „Seitdem stand die Anlage in einer Kiste verpackt auf dem Dach“, so Physiklehrer Henrik Radvan gegenüber der taz, das Hochbauamt des Bezirkes habe sich im notwendigen Genehmigungsverfahren als „etwas überfordert“ erwiesen. Nun aber ist die Komplettstation ordnungsgemäß verankert, und durch ein dickes Kabel fließt der Strom zu den Batterien im Lehrerpult.

„Die Schaltungen und Sicherungen haben die Schüler weitgehend selbst eingebaut“, lobt Radvan das Engagement. Unter der Leitung seines Kollegen Ingo Opolka hätten etwa zehn Interessierte viel Freizeit in die Vorbereitungen investiert, ein Teil sei im Unterricht geschraubt, geschweißt und verbunden worden. Eher grobe mechanische Arbeiten seien zum Beispiel in Physik- Grundkursen geleistet worden, „die fanden das total super“.

Musik hören zu können sei für zahlreiche Schüler sehr wichtig, meint Physiklehrer Gerd Prill, dieser Wunsch sei auch an die AG „Solarprojekt“ herangetragen worden. Andere Schüler hätten kurzerhand ein Autoradio mit in die Schule gebracht, „das wird ja schließlich mit zwölf Volt betrieben“. Boxen wurden unter der Decke befestigt, und so kann neuerdings vom Lehrerpult aus die Musik bestimmt werden – ausschließlich durch Sonnenlicht und Windkraft betrieben. Den Schülern sei so der Nutzen regenerativer Energien sehr anschaulich nahezubringen, unterstreicht Prill.

Diese Erfolge sind erklärtes Ziel der Ebag-Schulkontaktpflege. Seit geraumer Zeit versorgten sie und die Bewag die Schulen mit Informationsmaterial, gemeinsame Seminare seien üblich, so Pressesprecher Beuche. An einer solchen Weiterbildung zur Photovoltaik, also der Stromgewinnung durch Sonnenlichtnutzung, nahm im Herbst vor zwei Jahren auch Ingo Opolka teil. „Danach saßen wir hier zusammen und überlegten, was wir daraus machen können“, erinnert sich Radvan. Die Kollegen seien auch durch die eigene Raumnot motiviert gewesen: „Wir hatten nur einen Physikraum, oft müssen vier Klassen gleichzeitig unterrichtet werden.“ Experimente seien also nur in jeder vierten Stunde möglich gewesen, „und das ausgerechnet in Physik“.

Kurzerhand wurde auf Zetteln für eine neue Arbeitsgemeinschaft geworben. Saurer Regen, der Treibhauseffekt und die Begrenztheit der fossilen Brennstoffe seien entscheidende Themen der Zeit, hieß es darin: „Wenn ihr Lust habt, euch mit euren eigenen Händen und euren Ideen mit uns auf den Weg zu machen“, so die Physiklehrer, dann werde gemeinsam für eine Solaranlage gekämpft. Nicht zuletzt die Messungen und computergestützten Auswertungen der Schüler ergaben bald, daß die Kopplung mit einer Mini-Windanlage deutlich effektiver werden würde.

Das Komplettsystem arbeitet nun bei Wind und Sonne, das Radio läuft umweltfreundlich, die erfreuten Schüler lernen, und die Lehrer hoffen auf zahlreiche Nachahmer. Christian Arns

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