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„Weit mehr als das Zählen von Stimmen“

■ Bürgerbeteiligung am Flächennutzungsplan: Interview mit Staatssekretär Branoner

Die Bürgerbeteiligung zum Flächennutzungsplan geht in ihre zweite Phase. Kritiker bemängeln, schon bei der „frühzeitigen Bürgerbeteiligung“ seien die Bedenken von Bürgern nicht genügend berücksichtigt worden. Die taz sprach mit Wolfgang Branoner (CDU), Staatssekretär der Stadtentwicklungsverwaltung.

taz: Ist der Verzicht auf geplante Hauptstraßen, Autobahnen, Gewerbe- und Wohnflächen sowie der Erhalt von bislang nicht gesicherten Kleingärten noch möglich?

Wolfgang Branoner: Welchen Einfluß Bürger mit ihren Einwendungen haben, ist offen – wird aber mit jeder Stufe enger. Der FNP hat seinen Ursprung vor zweieinhalb Jahren mit der Ausarbeitung des Räumlichen Strukturkonzepts (RSK) und der Grundlagenbereichsentwicklungspläne genommen. Seitdem hat es eine ungeheure Anzahl von Veränderungen gegeben – nicht zuletzt durch die Diskussion mit Bürgern und Gruppen vor Ort. Änderungen, mit denen wir Bürgerwünschen entgegenkommen.

Das Umweltrecycling-Zentrum in Pankow steht mit 7.200 Einwänden auf Platz eins der Protestliste, die Nordtangente mit 5.200 Einwänden auf Platz drei. Haben nicht genügend Bürger widersprochen, um die Projekte zu kippen?

Nein, nein. Das würde im Umkehrschluß ja bedeuten, daß es falsch wäre, mit der Öffentlichkeit bereits zuvor über Strukturkonzepte oder Entwicklungspläne zu diskutieren. Diese offene Phase zu Beginn hat aus dem Gesamtverfahren doch die Luft herausgenommen. Ein ganz konkretes Beispiel dafür ist das Kleingartenkonzept. Noch nie ist ein FNP den Interessen der Kleingärtner so weitgehend entgegengekommen. Wir haben das Konzept durch den Senat gebracht, mit Bezirksbürgermeistern und Baustadträten diskutiert und dann erst im FNP aufgenommen. Mit dem Ergebnis, daß 85 Prozent aller Kleingärten gesichert sind.

Es haben sich über 100.000 Bürger über den FNP informiert. 85.000 haben Einwände geltend gemacht, davon jeder Dritte gegen den Straßenausbau, ein weiteres Drittel gegen Ausweisung neuer Bauflächen. Kein Grund zum Nachdenken?

Ob man Entscheidungen nach abgegebenen Voten – also quantitativ – oder inhaltlich trifft, ist ein grundsätzliches Problem. Die Bürgerbeteiligung ist weit mehr als das Zählen von Stimmen. Wir nehmen sie ernst. Aber man kann nicht immer davon ausgehen, daß derjenige, der 100 Eingaben gegen eine Straße sammelt, dem mehrheitlichen Willen Ausdruck verleiht. Wir wissen doch, es ist einfacher, sich gegen etwas als für etwas zu engagieren.

Was sagen Sie nun zur Zahl der Einwender? Halten Sie diese für unbedeutend?

Was die Ausweisung von Bauflächen angeht, haben wir nach der Bürgerbeteiligung stärker als zuvor Gebiete definiert, die nur noch teilweise in Anspruch genommen werden sollen. Außerdem wird bei der Bürgerbeteiligung nicht nur der einzelne beteiligt, sondern auch Organisationen und Verbände. Beispielsweise haben die Fachgemeinschaft Bau, die Industrie und Handelskammer sowie der ADAC Stellungnahmen abgegeben – die Organisationen haben mehrere tausend Mitglieder.

Offenbar sind durch den Einfluß von Interessenvertretungen und Lobbyismus die Würfel der Stadtplanung längst gefallen. Warum sollte sich bei der aktuell laufenden Bürgerbeteiligung der einzelne noch engagieren?

Wir haben nach der ersten Bürgerbeteiligung 2.000 Änderungen vorgenommen. Auch jetzt wird es noch Argumente geben, die wir nicht bedacht haben. Deshalb kann ich nur sagen, was noch verändert wird, wird man sehen – es gibt noch Spielraum. Diesmal geht's aber um die Wurst. Jetzt müssen die Bedenken der Bürger jedem einzelnen Parlamentarier vorgelegt werden. Ich empfehle jedem – auch wenn er bereits bei der frühzeitigen Bürgerbeteiligung mitgemacht hat –, nicht berücksichtigte und neue Einwände vorzutragen. Interview: Dirk Wildt

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