Zeitgeist in den alten Hallen

■ Drei Berliner Markthallen werden von Verwaltungsgenossenschaft geführt Gerionge Pachtverträge im Vergleich zu privaten Betreibern, die keine Großkette wollen

Zwei Dinge sind es, die Walter Prenzel mit Verve ablehnt: In seiner „Wochenmarkthalle im Tegel- Center“ veränderte Ladenschlußzeiten einzuführen oder gar einer Großkette Platz einzuräumen. Beides, sagt der 84jährige, komme für ihn „überhaupt nicht in Frage“. Prenzel gehört zu jenen privaten Hallenbetreibern, die sich dem Zeitgeist widersetzen. Während die gerade frisch eröffnete Halle am Alex eher einer Ramschpassage mit Parfüm- und Klamottenboxen gleicht, sind an der Maxim- Gorki-Straße die Obst-, Blumen-, Gemüse- und Fleischhändler in der Mehrzahl. „Für uns lohnt sich keine Ausweitung der Ladenschlußzeiten“, widerspricht er all jenen, die in längeren Öffnungszeiten einen Vorteil für den kleinen Handel sehen. „Das würde sich wahrscheinlich nur lohnen, wenn man das ganze Sortiment umstellt“, gibt Prenzel zu bedenken. Die Obst- und Gemüsekunden suchen aber am späten Abend nicht mehr eine Markthalle auf. Kaum verwunderlich ist es daher, daß in der Halle, für die seine „Marktverwaltung Walter Prenzel“ bis zum Jahr 2019 einen Dauernutzungsvertrag mit der Tegel-Center KG hat, auch der verkaufsoffene Donnerstag ein Tabu ist. Versuche von Großketten, sich in der rund 2.500 Quadratmeter großen Halle einzumieten, hat Prenzel stets abgewehrt: „Ich habe es mir zur Lebensaufgabe gemacht, die kleinen Privatexistenzen zu erhalten“.

Weit weniger fundamentalistisch geht es hingegen in der Eisenbahnhalle in Kreuzberg zu. Hier werden nicht nur am Donnerstag die Türen bis halb neun Uhr abends offen gehalten. Auch sind in der 4.405 Quadratmeter großen Halle seit 1970 ein Aldi- und ein Drospa-Markt untergebracht. Eine Entscheidung, die damals aus der Not geboren wurde. Die Kahlschlagsanierung im Bezirk veränderte die Bevölkerungsstruktur, ein neuer Magnet für die Kundschaft mußte her. „Heute würden wir uns dagegen aussprechen, damals sicherte es das Überleben der Eisenbahnhalle“, meint Michael Bahr, geschäftsführender Vorstand in der Markthallen-Verwaltungsgenossenschaft.

Neben der Eisenbahnhalle hat die Genossenschaft auch für die Marheinekehalle in Kreuzberg (3.088 Quadratmeter) und die Arminiushalle in Moabit (5.495 Quadratmeter) die Nutzungsrechte von der Berliner Großmarkt GmbH – deren Anteile zu 100 Prozent von der Senatsverwaltung für Finanzen gehalten werden – auf unbestimmte Zeit erhalten. Die Pachtverträge seien „sehr gering“, erklärt der Prokurist der GmbH, Ulrich Roll. Man sei laut Satzung verpflichtet, die Berliner mit „günstigen und frischen Lebensmitteln zu versorgen“. Die Vorteile für die Genossen liegen auf der Hand: Mit 40,20 Mark pro Quadratmeter ist die Standmiete in den drei Hallen deutlich geringer als in der privaten Einrichtung von Walter Prenzel, wo die 55 Betreiber im Durchschnitt rund 77 Mark pro Quadratmeter zu zahlen haben. „Wir sind nicht auf Gewinn aus, sondern wollen unseren Genossen möglichst günstige Flächen zur Verfügung stellen“, so Bahr. Viele der Hallenhändler sind treue Seelen, die Fluktuation ist gering. Der älteste Stand in der Arminiushalle zählt 102 Jahre. 1991 wurden in allen drei Hallen 89 Millionen Mark Umsatz gemacht. Für 1992, die Statistik wird demnächst vorgelegt, rechnet Bahr mit einem „ähnlichem Ergebnis oder einem leichten Rückgang“. Ein durchaus normaler Vorgang, wie Bahr meint: „Im Osten sind jetzt auch Markthallen entstanden, da bleiben natürlich Käufer weg.“ Gerade die drei öffentlichen Hallen leben von der Infrastruktur ihrer Kieze. Umfragen der Genossenschaft haben ergeben, daß die meisten Einkäufer in einem Umkreis von 800 bis 1.000 Meter leben. Auch ökologisch macht die Markthalle Sinn: Nur 20 bis 25 Prozent der Kunden der Arminiushalle fahren mit dem Wagen vor. Für sie wird es – ähnlich wie für die Lieferanten – jedoch immer schwieriger, noch einen Parkplatz zu finden. Weil die Händler Sturm liefen, mußte der Bezirk Tiergarten vor zwei Jahren sein Vorhaben zurückstellen, die Arminiusstraße in eine Fußgängerzone umzuwandeln. Die Verwaltungsgenossenschaft, die vor 23 Jahren ins Leben gerufen wurde, scheint ein Auslaufmodell zu sein. So soll die 2.800 Quadratmeter große Ackerhalle in Ostberlin, die mittlerweile wieder zum Land gehört und nach einer Wertfeststellung der Berliner Markthallen GmbH übergeben werden soll, nicht der Genossenschaft zur Verfügung gestellt werden. Dort hat sich bereits ein Bolle-Markt ausgebreitet und wurde mit Millionenaufwand umgebaut und renoviert. Severin Weiland