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Der distanzierte Herr am Einzeltisch

Ein vergnügliches „Reisebuch für den Menschenfeind“. Der Reise-Motzki Friedrich-Karl Praetorius schreibt sich mit Sprachwitz und Häme die Leiden des Touristenseins vom Leib  ■ Von Günter Ermlich

„Jeder Tourist, der irgendwo auf der Welt ankommt, stellt sich zunächst drei Fragen: ,Ist es hier schön? Wo kann ich übernachten? Wo gibt es Bier?‘“ Friedrich-Karl Praetorius weiß, was Touristen wünschen. Der Schauspieler, Buchautor und aufrechte Menschenfeind („Ein Misanthrop wie ich“) hat die Welt als Einzelwesen ausgiebig durchstreift und sich mit spitzer Feder die Leiden des Touristenseins vom Leib geschrieben.

Er mosert gegen die notorische Gemeinsamkeit, gegen den Zwang zu Urlaubsbekanntschaften („dem Alleinreisenden ist die Familie ein Greuel“), gegen die touristischen Hundertschaften, die unter Kommando eines singhalesischen Reiseleiters das Abendmahl einnehmen. „Wo ist sie, die Insel ,Fürmichganzallein‘“? Der Naivling kann sie nicht finden. Auch nicht im Fall des kleinen indonesischen Eilands Gili Air, obwohl er da „mit dem Gerücht, die Insel sei malariaverseucht“, weitere Touris abschütteln kann. Sein Hase-Igel- Rennen ist aussichtslos: „Vor drei Strandhütten hocken ,Ausgesetzte‘, richtige Robinsons, und blicken verbissen aufs Meer.“

Doch unser Menschenfeind ist nicht einfach nur ein hochtouriges Stinktier, das Gift und Galle absondert, vorzugsweise zur Abwehr von Artgenossen; vielmehr observiert er, vom gesicherten Einzeltisch aus, seine Nächsten haargenau, um dann nach allen Seiten, unabhängig von Region, Kulturkreis, Reisenden und Bereisten, wortgewandt und wadenbeißend auszuteilen.

So sind ihm die anbaggernden „dunkelbraune(n) Balinesenkinder“ („Hey Mister, you need transport?“) lästig: „No, Ruhe is all I need.“ Im Züricher Hauptbahnhof angekommen, macht der Reise- Motzki Bekanntschaft von „blassen Schweizer Knaben in Kampfanzügen, das Gewehr geschultert“, wobei der „Schweizerdeutsche mit seiner krachenden, stechenden, zischenden Aussprache ... doch schon bis zu den Zähnen bewaffnet“ ist. Zum Thema „Frankenwald“ bekommt das fränkische Hauptgericht, der Kloß, sein Fett weg: „Schon das Wort bleibt einem im Hals stecken. Das, womit andere Völker werfen, wird hier gegessen.“

Nicht nur zum tumben Massentourismus, auch zu „Phänomenen des ,gesteuerten‘ Individualtourismus“ läßt er sich erfrischend boshaft aus. Besonders gegen die unrühmliche Rolle der alternativen Reiseführer. Beispiel: der „alternative Fernostspezialist“ Stefan Loose, der uns „mit seiner Vorliebe für alles, was ,reichhaltig und billig‘ ist, ... mit sicherem Instinkt in die schmuddeligsten Hotels der Welt“ führt. So das „Swan-Hotel“ in Bangkok.

Vom Feinsten ist Praetorius' definitiver Debattenbeitrag zur Hauptstadtfrage („Bonn muß Kanzler bleiben!“): „Ich liebe Bonn. Zwei Tanten von mir sind dort gestorben. Friedlich. Bonn liegt reglos am Rhein. Hier kann man alt werden. Adenauer wurde beispielsweise sehr alt.“

Der Menschenfeind im Autor beherrscht nicht nur seine Lebensgrundlage, das genuin Misanthropische, perfekt, sondern reichert es noch an mit einer gehörigen Portion Sprachwitz und Kübeln voll Häme. Die Reisereportagen mit gewisser geographischer Bandbreite (Neandertal, Malediven, Toscana, Düsseldorf-Grafenberg, Kastilien, Java etc.) haben den geziemenden Biß. Kein Pardon für niemand. Summa summarum: ein um Längen kurzweiligeres Lesevergnügen als all die Fremdenverkehrswerbung-geneigten Langweiler-Artikel des einschlägigen Reisejournalismus.

Friedrich-Karl Praetorius: „Reisebuch für den Menschenfeind“. Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main 1993, 14 DM.

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