Demokratie im Halbfinale

Die Geschichte der Ausländerbeiräte / Wie und warum sie entstanden, welche Funktion sie heute haben / Ausländerbeiräte haben in Hessen Wesentliches geleistet  ■ Von Rogelio Barroso und Christopher Aigman

Wenn man sich an die ersten Zeiten der Ausländervertretungen in Deutschland erinnert, fällt spontan der folgende Satz ein: „Am Anfang stand die Bevormundung.“

In den sechziger und siebziger Jahren waren es nicht die Ausländer selbst, sondern andere, die unsere Interessen vertraten: Kirchen, Betreuungsverbände, Gewerkschaften... Alle fühlten sich berufen, uns Nichtdeutsche zu vertreten. Während dessen organisierten wir Ausländer uns in Vereinen und Clubs, in politischen und konfessionellen Gruppen. Und wir verlangten, gehört zu werden.

Viele hielten uns aber für „nicht reif“ für die Demokratie. Obwohl viele von uns gegen Diktaturen in unseren Herkunftsländern gekämpft hatten, galten wir für andere als „nicht vorbereitet“ für die deutsche Demokratie. Die Situation wurde für die Ausländerorganisationen immer unerträglicher. Sie nahmen mit Politikern und Kommunalverwaltungen Kontakt auf und verlangten Selbstvertretungsstrukturen.

So entstanden die ersten „Ausländerkommissionen“, „Koordinierungskreise“ und wie sie alle hießen. Die meisten davon waren ebenfalls undemokratische Gremien, von deutschen Politikern und Amtsträgern gebildet und besetzt mit einigen von Verbänden oder Gewerkschaften „entsandten“ Ausländern.

1972 entstand in Wiesbaden der erste demokratisch gewählte Ausländerbeirat in Deutschland. Ihm folgten bald andere in Nürnberg, Limburg und Kassel. Diese ersten Beiräte waren der Versuch, ein Stück Mitsprache in den Kommunen zu bekommen, wo die Betroffenen selbst und nicht die selbsternannten Stellvertreter das Wort führen sollten.

Die Ziele

Die Hauptziele der ersten Ausländerbeiräte waren schon damals die Gewährung der vollen politischen Rechte, die rechtliche und soziale Gleichstellung und die Abschaffung der diskriminierenden Ausländergesetze. Bei den ersten Wahlen zu den Ausländerbeiräten bekundeten die Gewählten öffentlich: „Ausländerbeiräte sind gut – Wahlrecht ist besser!“

An diesem Ziel hat sich nach über 20 Jahren nichts geändert. Nach wie vor wollen die Beiräte zeigen, daß ausländische Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, politische Mitverantwortung zu übernehmen und daß die Zeit reif ist für die demokratischen Lösungen. „Deutscher Boden duldet keine Knechtschaft“, sagte schon Jakob Grimm in der Paulskirche zu Frankfurt. Wie weit sind wir noch entfernt von diesem Motto der verfassunggebenden Versammlung in der Paulskirche!

Die rechtlichen Grundlagen

Rechtsgrundlage der Ausländerbeiräte war zunächst die Satzungsautonomie der Gemeinde, die ihrem Ausländerbeirat eine eigene Satzung gab. Einige waren restriktiv, andere großzügig, was die Rechte und Befugnisse der Ausländerbeiräte angeht.

Ziel der 1983 gegründeten Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen (Agah), der Landesverband der hessischen Ausländerbeiräte, war jedoch, u.a. wegzukommen von der Freiwilligkeit der Einrichtung von demokratischen Beiräten. Möglichst weitreichende Kompetenzen sollten durch eine gesetzliche Verankerung erreicht werden.

Schon unter der Regierung Börner fanden die ersten Versuche statt, eine Verfestigung durch die Aufnahme der Ausländerbeiräte in die Hessische Gemeindeordnung (HGO) zu erzielen. Die Verhandlungen sollten jedoch erst viel später zum Erfolg führen. Andererseits gelang es in der Ära Wallmann eine Landeszuwendung für die Einrichtung einer Geschäftsstelle in Wiesbaden zu erhalten. Ein sehr wichtiger und bedeutender Schritt für die Entwicklung der Ausländerbeiräte in Hessen.

Mit dem erneuten Regierungswechsel 1991 wurde das alte Vorhaben, die Verankerung der Ausländerbeiräte in die HGO, wieder aufgenommen. Diese Verhandlungen unter dem neuen Vorsitzenden Mahmud Hashash glückten. Mit Wirkung zum 1. April 1993 wurden Ausländerbeiräte in allen hessischen Gemeinden mit über 1.000 ausländischen Einwohnern als deren Interessenvertretung zur Pflicht. Die in der HGO vorgeschriebenen Aufgaben und Befugnisse stellen einen Mindestrahmen dar, der je nach den örtlichen Verhältnissen ergänzt und präzisiert werden kann. Die wesentlichsten Rechte der Ausländerbeiräte umfassen das Recht, durch den Gemeindevorstand informiert zu werden, ein Vorschlagsrecht, ähnlich dem der Ortsbeiräte, ein Anhörungsrecht vor den Ausschüssen der Gemeindevertretung sowie das Recht auf zur Erledigung seiner Aufgaben erforderliche Mittel.

Die Leistungen

Wenn jemand im Kampf für mehr Rechte kontinuierlich und wirkungsvoll etwas geleistet hat, dann sind das die Ausländerbeiräte. Mit ihrer ständigen Arbeit in den Kommunen und auf Landesebene haben sie viele Politiker überzeugt und viele „dicke Bretter gelöchert“.

Ausländerbeiräte haben in vielen Städten zum besseren Klima zwischen Deutschen und Nichtdeutschen beigetragen. Sie haben viele „kleine“ Verbesserungen für ausländische Bürgerinnen und Bürger erreicht: Von der Verbesserung der Situation in Schulen und Kindertagesstätten bis hin zur Schaffung von Beratungszentren für Frauen oder Eltern. In vielen Orten ist es selbstverständlich geworden, daß Mitglieder der Ausländerbeiräte in den Aufsichtsgremien der Wohnungsbaugesellschaften oder der Volkshochschulen vertreten sind. Dort, wo es Ausländerbeiräte gibt, weiß die Öffentlichkeit mehr über die Belange und Sorgen dieser Minderheit. Gegenseitige Toleranz und Verständnis wachsen.

Ausblick

Trotz Verankerung in der HGO und ihrer Leistungen bleiben die Ausländerbeiräte umstritten. Umstritten unter denjenigen, die keinerlei Rechte für die hessische Bevölkerung ohne deutschen Paß wollen und damit billigend in Kauf nehmen, daß wir dadurch in Deutschland eine rechtlose Minderheit bilden und uns irgendwann dem sozialen Sprengstoff einer Herrscher/Heloten-Gesellschaft ausgesetzt sehen werden. Die Ausländerbeiräte sind aber genauso umstritten unter denjenigen, die unzufrieden bleiben, wenn gewaltige Änderungen nicht gleich über Nacht erfolgen.

Unbestritten bleibt die Wichtigkeit der Aufgaben, die den Ausländerbeiräten anvertraut sind: das aktive Einsetzen für Verständigung zwischen den Kulturen, die Suche nach friedvollem Zusammenleben in der Gemeinde und die Vertretung der Interessen einer sonst unmündigen Minderheit.

Unter den polarisierenden Bedingungen, die z.Z. in Deutschland herrschen, ist es für jeden schwierig, eine Stimme für Vernunft und Verantwortung zu erheben, wie es die Ausländerbeiräte tun. Karl Popper hat einmal geschrieben: „Der Nationalismus wendet sich an unsere Stammesinstinkte, er wendet sich an Leidenschaft und Vorurteil, an unseren nostalgischen Wunsch, von der Last individueller Verantwortlichkeit befreit zu werden, die er durch eine kollektive oder Gruppenverantwortlichkeit zu ersetzen versucht.“

Daß diese Gruppenverantwortlichkeit letzten Endes mit keiner Verantwortlichkeit gleichzusetzen ist, dafür haben wir in Deutschland ausreichende Belege. Es ist der Ansatz und der Anspruch der Ausländerbeiräte, klarzustellen, daß niemand etwas davon hat, wenn eine beträchtliche Gruppe der Bevölkerung von der Verantwortung ausgeschlossen wird und daß Poppers „individuelle Verantwortlichkeit“ für alle gilt, ob mit oder ohne deutschen Paß.

Die Autoren sind stellvertretende Vorsitzende der Agah.