Stellvertreterkrieg?

■ Literatur, Stasi und Aktenstreit

„Ich werde nie begreifen, warum es sich unser Staat leisten kann, eine monströs große Behörde zu unterhalten, die bisher jedenfalls kein anderes Ergebnis erbrachte als die Versorgung ausgewählter Presseerzeugnisse mit einseitigen Informationen.“

P.M. Diestel am 22.11. 1993

Wäre Frank Schirrmacher Stasi- Offizier, hätte er die Debatte um den Geheimdienst „genau so eingefädelt, wie sie gelaufen ist“: Zuerst ein langer Disput über Geist und Macht, auf daß sich dann alle „an diesem Koloß in Brandenburg“ (F.S.) abarbeiten können und daß am Ende die Frage nach der Rolle anderer Bereiche im untergegangenen Staat – etwa der Wirtschaft – kaum noch jemand stellt. Donnerstag abend in Berlin: Der riesige Kinosaal der Gauck- Behörde, die zur Diskussion „Mielke und die Musen“ geladen hatte, ist proppenvoll. Da im Lande wieder Aktenschließungswünsche laut werden, ohne daß die Rufer von Kohl über Schorlemmer bis Diestel auch nur den Hauch eines vernünftigen Arguments besitzen, sind Stasi-Fragen aktueller, als einem lieb sein kann.

„Wir befinden uns in der Phase, in der sich die Diskussion versachlicht“, stellt Joachim Walther fest. Er ist seit geraumer Zeit dabei, Akten zu studieren, und referiert, wie auch der Theaterwissenschaftler Matthias Braun, über den Einfluß der Staatssicherheit auf Künstler. Beide Vorträge sind eingebettet in ein Gespräch zwischen Autoren, Literaturkritikern und Publikum. Details zum Alltag der Observationen sind gefragt, außerdem der Vergleich mit der Zeit während und nach dem Nationalsozialismus. Und Akten verbrennen?

„Die Opfer bestimmen, wann aufgehört wird, und niemand anders“, trumpft Erich Loest auf – zur Beruhigung. Auch Karl Corino wiegelt ab. Man müsse doch nur Schorlemmers Texte aus den achtziger Jahren genauer betrachten, um zu sehen, daß man den Friedenspreisträger „nicht sonderlich ernst nehmen“ könne.

Frank Schirrmacher mit seiner Debattenkritik ist es, der den aktuellen Bezug herstellt. Der Ruf nach Aktenschließung sei „ein Scheitern“, meint er und verweist vor allem auf einen Aspekt: Daß die „am Fall Stolpe aufgehängte Frage“ nicht mehr gestellt wird, welche Rolle der Westen (Stichwort Wirtschaft) für das Bestehen der DDR gespielt habe. Damit sei zwar Diskussion über Literatur nicht unwichtig geworden, aber „abgekoppelt von ihrer öffentlichen Wirkung“, entschärft und der Literaturstreit zum „Stellvertreterkrieg“ degradiert.

Friederike Freier