Editorial

Die heutige Index-on-Censorship-Auswahl ist, wie immer, auch eine zufällige, und einen inneren Zusammenhang herzustellen Aufgabe dieser Zeilen. Sobald man jedoch von singulären Zensurbeispielen und -diskussionen absieht, ergibt sich zwingend ein Gesamtbild, der Zusammenhang von Sprache und Widerstand, von Freiheit des Denkens und Selbstorganisation einer Gesellschaft. So spricht der russisch-tschuwaschische Dichter Gennadij Ajgi auf diesen Seiten von „Sprachmitläuferschaft“ in der Sowjetunion.

Und als hätte man sich abgesprochen, ist daneben vom islamistischen Druck zur Sprachmitläuferei im Iran die Rede – diesmal nicht nur den Rushdie-Fall, sondern die iranische Mitläuferpresse selbst betreffend. Auch sie verbreitet nämlich, wie früher die Presse im Ostblock, die Wahrheit nur in homöopathischen Dosen per Leserbriefseite – und wird dafür bestraft.

Die gerade im Fall Salman Rushdie oft aufgeworfene Frage, ob es in der Tat Grenzen der Freiheit geben muß, wird diesmal – ironischerweise von einer britischen Ex-„Zensorin“ – diskutiert. Sie berichtet über einen äußerst lebhaft geführten Streit auf einem südafrikanischen Filmfestival, der vielleicht darauf hinweist, daß der Zustand des Streitens schon der Idealzustand von Demokratie ist, und jede Lösung immer nur eine vorläufige.

Uta Ruge, London