■ Heiner Geißler (CDU) zum Rückzug Steffen Heitmanns und zur europapolitischen Debatte innerhalb der Union
: „Nach Kohl wird es schwieriger“

taz: Herr Geißler, woran ist die Kandidatur Steffen Heitmanns gescheitert, an der von der Parteispitze beklagten „Diffamierungskampagne“ oder schlicht daran, daß die Republik keinen nationalkonservativen Bundespräsidenten will?

Heiner Geißler: Weder noch, ich glaube, er hat eingesehen, daß eine Grundbedingung nicht erfüllt ist, nämlich die Mehrheitsfähigkeit. Die Union hat in der Bundesversammlung keine Mehrheit, die anderen Parteien haben sich seiner Kandidatur verweigert, und zudem hat er es vielen Leuten in den eigenen Reihen schwer gemacht, ihn zu wählen. Das hängt mit seinen Positionen zur Frauenfrage, Europa oder der deutschen Vergangenheit zusammen, die er im übrigen ja auch hätte korrigieren können.

Die Nominierung Heitmanns war Chefsache. Ist Kohl nach dem Rückzug beschädigt? Immerhin scheitert er auf seinem ureigensten Feld, der Machtpolitik über Personalentscheidung.

Die ganze Entwicklung ist weder für Helmut Kohl noch für die CDU insgesamt glücklich gewesen. Ich habe das auf der Sitzung des Präsidiums am 8. September vorausgesagt und davor gewarnt, jemanden ins Blaue hinein zu nominieren, ohne sich zu vergewissern, ob er auch eine Mehrheit hat. Das war der entscheidende Fehler.

Noch mal zu Kohl, übersteht er den Abgang unbeschadet?

Nun, so tragisch darf man es auch wieder nicht nehmen. Daran wird Helmut Kohl nicht scheitern.

In der Gesellschaft war Heitmann nicht durchzusetzen, in der Union war er es schon. Sagt das etwas über den politischen Trend der Union?

Ich bitte Sie, das Ergebnis ist ja wohl eindeutig, Heitmann ist nicht mehr der Kandidat.

Er ist nicht mehr der Kandidat, weil er zurückgezogen hat. In der Fraktion ist er seinerzeit fast ohne Gegenstimmen akzeptiert worden. Demgegenüber hatten es die Kritiker, nach allem, was man aus dieser Sitzung erfahren hat, ziemlich schwer.

Das Verfahren war nicht glücklich. Der Kandidat war da, und die CDU besteht zu ihrem großen Teil aus sehr loyalen Leuten und Menschen, die festen Glauben haben an das, was die Führung vorschlägt. Schon von daher haben viele gesagt, wir kennen Herrn Heitmann zwar nicht, aber wenn er vorgeschlagen wird, dann spricht das für ihn.

Das klingt aber eher wie eine Karikatur Ihrer Parteikollegen.

Nein, man hat zu wenig auf die Inhalte und die Mehrheitsfähigkeit gesehen, und das hätte man tun sollen.

Der zweite Konflikt, der etwas mit der Kursbestimmung der Union zu tun hat, die von Edmund Stoiber losgetretene Europadebatte, geht weiter. Das eigentlich Beunruhigende daran war ja weniger Stoibers Forderung nach einem Bruch mit der bisherigen Europapolitik, sondern die sehr sicher klingende Einschätzung, die „Union insgesamt“ vollziehe in dieser Frage derzeit den Kurswechsel.

Edmund Stoiber hat im Bundestag erlebt, daß er mit dieser Position in der Union vollkommen isoliert ist. Nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch Stoibers eigener Parteichef vertritt in dieser Frage eine völlig andere Auffassung.

Stoibers Vorstoß ist für Sie kein Indiz dafür, daß die Union europaskeptischen Stimmungen in der Bevölkerung zugunsten einer stärkeren Betonung nationaler Interessen nachgeben könnte?

Es ist kein Indiz, es war vielmehr ein guter Anlaß, die europapolitische Position der Union noch einmal klarzulegen und auch zu zementieren. Stoibers Vorschlag, die bundesstaatliche Orientierung aufzugeben zugunsten eines Staatenbundes, aus dem man jederzeit austreten kann, ist in der Union nicht mehrheitsfähig. Man darf diese völkerrechtlichen Konstrukte nicht überbewerten, aber etwas steht fest: Europa wird kein Staatenbund sein. Ob es ein Bundesstaat wird wie die Vereinigten Staaten von Amerika, das will ich dahingestellt sein lassen. Ich denke, es wird eine politische Union sui generis werden mit klarem bundesstaatlichen Charakter bei gleichzeitig sehr weitgehender Dezentralisierung. Die bisher vorhandenen Modelle reichen nicht aus. Politisch jedenfalls ist für die Union eines ganz klar: daß es auf dem Weg nach Europa keine Umkehr gibt und daß wir nicht nur einen gemeinsamen Markt haben können, sondern auch eine gemeinsame staatliche Ordnung haben müssen.

Stoiber sagt, zu Zeiten des Kalten Krieges sei die europäische Einbindung in deutschem Interesse gewesen, mit dem Ende der Teilung werde sie zur Fessel nationaler Interessen.

Das Gegenteil ist der Fall. Wer Europa behindert, schadet den deutschen Interessen. Dafür gibt es genügend Beispiele: Der Wasserkopf in Brüssel kann nur beseitigt werden durch eine demokratisch kontrollierte, frei gewählte europäische Regierung. Wir müssen also genau das Gegenteil von dem machen, was er vorschlägt. Das Bemerkenswerte besteht ja darin, daß ausgerechnet die die europäischen Demokratiedefizite beklagen, die bei allen bisherigen Verhandlungen eine stärkere Demokratisierung bewußt verhindert haben. Im übrigen, was heißt nationale Interessen? Die sind immer dann gewahrt, wenn unsere Nachbarn den Eindruck haben, das, was die Deutschen tun, dient auch ihren Interessen. Wer eine Schaukelpolitik vorschlägt, der löst bei unseren Nachbarn das blanke Entsetzen aus. Wir sind Zeitzeugen des größten politischen Umbruchs, den die Menschheit seit zweitausend Jahren erlebt. Die Herausforderungen aus dem Osten richten sich in erster Linie an uns Deutsche. Die können wir nur bestehen, wenn wir von dem sicheren Fundament der europäischen Einigung aus Politik machen, und nicht umgekehrt.

Daß das Unbehagen an Europa, das die „Republikaner“ schüren, ähnlich instrumentalisiert werden könnte wie das Asylthema, sehen Sie nicht?

Nicht unter der Überschrift Fremdenangst oder gar Fremdenhaß; eher schon unter der falschen Überschrift nationaler Egoismen, daß also der Deutschen liebstes Kleinod, die D-Mark, gefährdet werden könnte oder daß die Zentrale zu sehr eingreift in Aufgaben, die besser dezentral gelöst werden könnten.

Bislang gilt vor allem Helmut Kohl als Garant für die europäische Perspektive der Union. Bekommt die Europadebatte nach Kohl eine neue Dynamik?

Ich will es einmal positiv ausdrücken: Solange Helmut Kohl da ist, fühle ich mich, was den europäischen Kurs anbelangt, sicherer. Aber ich hätte auch keine Zweifel daran, daß wir diesen Kurs auch ohne ihn beibehalten, es wäre vielleicht etwas schwieriger.

Fazit: Die Union bleibt in Sachen Europa näher bei Geißler als bei Stoiber?

Das kann man mit absoluter Sicherheit sagen.

Stoiber, ein Ausreißer, kein Grund zur Beunruhigung?

Doch, ich bin beunruhigt. Ich sehe eine mächtige nationale Front, die sich zwar in der Minderheit befindet, aber die publizistisch sehr mächtig ist. Das reicht von den britischen Konservativen über Rudolf Augstein, der ja ein linker Nationalist ist, über einzelne Herausgeber der FAZ bis hin zur bayerischen Staatskanzlei und den „Republikanern“. Das ist schon eine Front, nur dürfen wir uns davon nicht beirren lassen, mit denen müssen wir Streit anfangen. Das tun wir, bisher erfolgreich. Interview: Matthias Geis