: Hoffnung auf ein Stück „späte Würde“
■ SPD fordert: Bundestag soll Urteile der NS-Militärjustiz für Unrecht erklären
Bonn (taz) – Ludwig Baumann, 72 Jahre, ist vorbestraft. In 12 Jahre Zuchthaus wurde 1942 das Todesurteil umgewandelt, das NS- Kriegsrichter über den Deserteur Baumann verhängten. Auf das Gefängnis in Bordeaux folgte das KZ Esterwegen, dann das Strafbataillon 500 an der Ostfront. Baumann überlebte den Krieg, wie er sagt, „gebrochen“, und wie vielen anderen Deserteuren gelang es ihm nicht, im Nachkriegsdeutschland Fuß zu fassen: Fahnenflüchtige, Wehrkraftzersetzer wurden auch in der Bundesrepublik als Feiglinge verächtlich gemacht, und das gegen sie begangene Unrecht gilt bis heute als Recht.
Für die Zeit in der Todeszelle, im KZ, im Strafbataillon werden den Überlebenden nicht einmal Ausfallzeiten in der Rentenberechnung anerkannt. Und die Witwe eines zum Strafbataillon abkommandierten „unehrenhaft entlassenen“ Gefallenen hat keinen Anspruch auf die Kriegerwitwenrente ...
Ein Stück „späte Würde“ erhofft sich Baumann nun von einem Antrag, den die SPD-Bundestagsfraktion gestern vorstellte. Wie die Urteile des Volksgerichtshofs soll der Bundestag auch die der NS- Militärjustiz für Unrecht erklären. Das wäre endlich die Rehabilitation für die Opfer und ihre Angehörigen, und für die wenigen, die heute noch leben, auch die verbesserte Aussicht auf Entschädigung.
Daß die NS-Militärjusitiz Teil und Instrument des Terrorsystems gewesen ist, gehört zu den besonders anhaltend verdrängten Wahrheiten aus der Vergangenheit. Erst 1991, als das Bundessozialgericht nach sechsjährigem Rechtsstreit der Witwe eines Deserteurs eine Rente zusprach, bestätigte ein bundesdeutsches Grundsatzurteil, daß die Wehrmachtjustiz alles andere als eine „normale“ Militärjustiz gewesen ist. 22.750 aktenkundige Todesurteile, die zahllosen standrechtlichen der letzten Kriegswochen sind dabei nicht erfaßt, verhängten die Richter der Wehrmacht. Der SPD-Abgeordnete Uwe Lambinus verwies zum Vergleich auf England. Während des zweiten Weltkriegs gab es dort 40 Todesurteile, davon aber 36 wegen Mordes.
Doch auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts müssen die Betroffenen de facto ihren Einzelfall rechtfertigen, wenn es um Ansprüche auf Rehabilitation oder Entschädigung geht. Im Jahr 1992 wurden 26 von 28 gestellten Anträgen abgelehnt, berichtete Baumann, der heute Vorsitzender der 1991 gegründeten Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz ist.
Die SPD-Fraktion rechnet darauf, daß ihr Antrag im Bundestag eine Mehrheit findet. Unterstützt wird sie vom Bündnis 90/Die Grünen. Die Initiativen der Grünen in den beiden vorhergegangenen Legislaturperioden haben zu einer veränderten Sicht auf die Kriegsjustiz erheblich beigetragen.
Die Fraktionen von FDP und CDU/CSU werden sich dieser veränderten Sicht stellen müssen, wenn der Beschlußantrag im Parlamentsplenum und in den Ausschüssen beraten wird. Tissy Bruns
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