Hoffentlich kein Heimspiel

Drehort: Ostdeutschland – Arbeitstreffen der ehemaligen DEFA-Dokumentarfilmer auf der Insel Poel in der Ostsee / Ein Gespräch mit dem Regisseur Volker Koepp über Dokumentarfilme vor und nach der Wende  ■ Von Dietmar Hochmuth

Der DEFA-Dokumentarfilm ist eine ganz besondere Hinterlassenschaft der DDR, mit der heute so manche Retrospektiven von Filmen aus Deutschland bestückt werden. Ein vergleichbares Pendant zu der kontinuierlichen Produktion des zwar kontrollierten, aber auch vergleichsweise großzügig ausgestatteten Studios gab es im Altwesten nicht. Vor kurzem lud das Landesfilmzentrum Mecklenburg-Vorpommern die einstigen DEFA- Dokfilmer, wie sie sich nannten, zu einem Arbeitstreffen auf die Insel Poel in der Ostsee. Zwar kamen viele, aber die alte, in der Erinnerung immer so sehr beschworene Verbundenheit wollte nicht aufkommen – irgend etwas schien sich zwischen die Teilnehmer des Klassentreffens geschoben zu haben, oder war alles nur Verklärung? Eines ist allerdings geblieben: Eigentlich redet man doch nicht so gern über die Arbeit des anderen. In der DDR hatte es geheißen, wenn das einer hört, der was zu sagen hat, vermasselt man dem Macher die Zukunft – also lieber Schwamm drüber –, heute heißt der seidene Faden: knappe Filmförderung, Etatkürzung, ABM-Streichung...

Der rührige Veranstalter hatte die Gäste geködert mit dem Hinweis auf die Anwesenheit vieler „wichtiger“ westdeutscher Fernsehredakteure, und denen hat man, devot, wie man nun mal ist im „ärmsten“ aller Bundesländer (aus einem Prospekt über die Filmförderung in M.-V.), gleich noch die Diskussionsleitung angetragen. Die Strafe folgte auf dem Fuß: Hier wurde das tägliche deutsch-deutsche Mißverständnis augenscheinlicher denn je, verkam der Spruch vom Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört, zum senilen Gespinst, zur Farce. Man sah anders, hörte anders, vor allem nicht hin und einander nicht zu.

Ein Redakteur vom WDR nahm mich scheu beiseite und bat um Hilfestellung: Er verstand das Ritual des Klassentreffens nicht. Es war auch kaum noch zu erkennen – am ehesten vielleicht noch am Biertisch, wo über den Nachbartisch und die Filme der dort Sitzenden gehetzt wurde. Vor allem aber ging ihm nicht auf, warum man sich so separieren muß: „Stellen Sie sich mal vor, jemand veranstaltet eine Werkstatt mit dem Titel: ,Drehort Westdeutschland‘...“ Das allerdings muß er gar nicht erst, denn fast alle traditionellen westdeutschen Festivals wie Hof, Saarbrücken, Oberhausen kommen, anders als vor dem Fall der Mauer, plötzlich sehr gut ohne den Osten aus.

Das Treffen brachte zwar den ersehnten Austausch nicht, dafür aber den Veranstaltern eine stolze Sammlung prominent geglaubter Unterschriften unter einen pathetischen Appell an die Landeskämmerer: „SOS – ohne ABM keine Kultur...“. Und mit diesem pragmatischen Schlußpunkt der Tagesordnung nahm sich die zunächst sympathisch wirkende Veranstaltung dann noch den letzten Charme.

Das Berliner Kino im Zeughaus bietet bis Ende Dezember Gelegenheit, in einer großen Retrospektive mit Filmen von Volker Koepp, Winfried Junge und anderen den „Drehort Ostdeutschland“ abzuschreiten. Für die einen vielleicht eine Mondlandschaft, für die anderen Reminiszenzen an ihr Atlantis... Hoffentlich bleibt es kein Heimspiel.

taz: In der DDR war ja die Kamera von manchen Passanten quasi gefürchtet, sich auszusprechen nicht jedem gegeben... Wie war das, als du jetzt mit der Kamera losgezogen bist? Haben sich die Dinge vielleicht entkrampft? Hast du einschlägige Erfahrungen gemacht, daß das Medium weniger gefürchtet ist, weil es weniger ausrichtet oder umgekehrt?

Volker Koepp: Das hängt ebenso damit zusammen, wie man so eine Art von Film überhaupt weitermacht. Früher war es so: Wenn man irgendwo hinkam, und die wußten, daß wir von der DEFA sind, war es an und für sich unkompliziert, so mit den Leuten zu reden, selbst bei zufälligen Begegnungen auf der Straße. Die Leute haben gesagt, die DEFA kommt, und haben gelacht... Sie haben sich anders verhalten, wenn das DDR- Fernsehen auftauchte, später, schon 86/87, kam dazu das ZDF oder Sat.1 oder weiß der Teufel.

Und jetzt ist es anders, natürlich haben manche Leute schon Erfahrungen gemacht damit, daß Medien also irgendwie angefeindet werden. Es gibt oft aggressive Reaktionen, oder die Leute gehen einfach weg. Das hat, glaube ich, damit zu tun, daß die Haltungen der Leute nun einfach aufgefächert sind, weil jeder nun seine Meinung sagen kann. Früher konnte man sich mit den Leuten sehr schnell einigen auf das, was sie ablehnen, also Stasi und Honecker usw. Jetzt sagen die Leute Sachen, zu denen man sich anders verhalten muß. Wenn da irgendwelche Nazis vor der Kamera reden, ist es natürlich schwer, einfach so zuzuhören. Früher gab es eine Grundübereinkunft, sagen wir mal, mit den Leuten, und man konnte ziemlich viel erfahren. Jetzt kommt natürlich auch noch die Angst dazu: Wer noch Arbeit hat, redet ungern, also gibt es Zwänge, und die Leute haben einfach Angst, aus den Betrieben zu fliegen in bestimmten Gegenden, wie es auch in Wittstock war. Wer noch Arbeit hatte, hat nichts gesagt; erst wer schon entlassen war, hat wieder geredet. Ich will nicht sagen, daß es da früher keine Zwänge gegeben hat, die waren ganz anderer Art, aber es ist im Grunde genommen eine andere Situation. Die Leute, die Dokumentarfilme machen, sind weithin relativ unbeliebt, weil es eben einfach keine vorgefaßte Meinung gibt, wenn man so in der Wirklichkeit auftaucht.

Wenn du jetzt einen Film machst und ihn, angenommen, in Rheinsberg zeigst oder von mir aus in Rheinhausen, empfindest du mental noch diesen starken Unterschied zwischen den zwei deutschen Öffentlichkeiten, die es nun einmal gibt?

Auch im Anspruch an den Dokumentarfilm vom Zuschauer her, so es einen gibt?

Ja, so ein bißchen. Ich bekomme noch heute viel mehr Einladungen zu Filmvorführungen, Foren und Zusammenkünften, Diskussionen aus den östlichen Ländern als aus den westlichen. Und wenn die Filme laufen, etwa im Babylon, und man hat Leute aus dem Westen zu Gast, dann verstehen sie vieles eben noch anders oder verstehen manches nicht, wenn irgendwo gelacht wird, wird man hinterher gefragt von Kollegen aus dem Westen, warum die Leute da und da gelacht haben. Trotzdem glaube ich, daß es notwendig ist, solche Filme noch zu machen, und ich finde es auch traurig, daß viele abspringen und keine dokumentarischen Arbeiten mehr machen wollen.

Dabei ist es eigentlich nicht so schwer, die finanziellen Mittel zusammenzuborgen. Da gehört natürlich wie bei allen Entscheidungen, die von Gremien getroffen werden, ein bißchen Glück dazu, aber im Grunde genommen sollte es eigentlich gehen. Schade, daß zuwenig Leute den Versuch machen. Insgesamt ist es wirklich etwas demokratischer geworden, es können auch Leute einreichen, die nicht über die Filmhochschule gekommen sind. Dennoch fehlen in den letzten Jahren so ein bißchen die Entdeckungen.