■ Standpunkt
: Das kalte Herz

1825 erschien Hauffs Märchen „Das kalte Herz“. Peter Munk, ein Köhler mit Sehnsucht nach Geld und besserem Unterhalt, verkauft sein Herz an den Holländer Michel, von dem alles Böse im Schwarzwald herrührte. Menschen, die ihr Herz dem Michel übergeben, bekommen ein Steinernes dafür und – nehmen sich nichts mehr zu Herzen. Munk gelingt es zu guter Letzt, sein Herz, das zwischenzeitlich in einem mit Flüssigkeit gefüllten Glase weitergepocht hatte, zurückzugewinnen.

Das kalte Herz ist heute kein Märchen mehr, sondern Wirklichkeit. Gerade noch schlagend, wird es im Körper Sterbender mit Kühlflüssigkeit durchspült, um es für die Transplantation frisch zu halten und die medizinisch hergestellte Therapiehoffnung kranker Menschen zu erfüllen.

Viele Organe können heutzutage ihren Ort wechseln. Neben dem Herzen sind es vor allem Nieren, Lebern und Lungen. Eine Medizin, die das Sterben der einen braucht, um die Hoffnung auf Heilung der anderen erfüllen zu können, hat hauptsächlich ein Problem: den Mangel an Organen, um „Überleben zu machen“.

Laut Eurotransplant, der europäischen Organ-Verteilungs- Agentur, wurden 1992 in der BRD 2.034 Nieren transplantiert, der behauptete Bedarf liegt bei 9.839; 518 Herzen wurden ortsgewechselt, 1.307 hätten es sein sollen. Der mittels Statistik geschaffene Mangel soll behoben werden. In einem US-amerikanischen Zentrum versucht man die „kontrolliert“ verstorbenen Herztoten heranzuziehen, um den Organpool zu vergrößern. Weltweit wird eine Veränderung der Todesdefinition debattiert, die auch komatöse Menschen aus dem Kreis der Lebenden herausdefiniert.

In der BRD soll ein Transplantationsgesetz mehr Sterbende verfügbar machen. Bislang sichert ein Transplantationscodex die Organwegnahme ab. Nur bei Zustimmung der Angehörigen wird explantiert; selbst wenn ein Spendeausweis vorliegt, sollen sie befragt werden. Organwegnahme wäre gemäß dieses juristischen Modells nur gestattet, wenn die Person zu Lebzeiten eingewilligt hat oder die Anverwandten in „ihrem Sinne“ entscheiden. Ein entsprechender Entwurf des Bundesrates wurde mittlerweile ad acta gelegt, denn beabsichtigt ist, die Organentnahme zu erleichtern. Die Widerspruchslösung, sie gilt in Belgien, Frankreich und Österreich, ist dieser Absicht eher zuträglich. Organentnahme ist demnach zulässig, wenn sich eine Person zu Lebzeiten nicht dagegen ausgesprochen hat. So wird die Sozialpflichtigkeit zur Organabgabe in Paragraphen gegossen und jeder Mensch zur potentiellen Organressource erklärt.

Im Kreise der GesundheitsministerInnen setzte sich die Informationslösung durch. Selbige einigten sich mittlerweile auf einen entsprechenden Mustergesetzentwurf, der im kommenden Jahr verabschiedet werden soll. Diese verkappte Widerspruchslösung ist der Transplantationsmedizin auf den Leib geschneidert. Wer zu Lebzeiten eingewilligt hat, dem können Organe weggenommen werden. Fehlt die Zustimmung, sollen die Angehörigen „innerhalb einer angemessenen Frist“ – fünf Stunden sind im Gespräch – über die Entnahme informiert werden. Melden sie sich nicht, gilt ihr Schweigen als Zustimmung zur Explantation. Auch mit diesem Modell wird die Wegnahme von Körperteilen zur Selbstverständlichkeit. Die Möglichkeit, „nein“ zu sagen, orientiert sich an technischen und organisatorischen Notwendigkeiten der Transplantationsmedizin.

Die MinisterInnenkonferenz doktert noch an den offenen Fragen des hastig und dilettantisch gemachten Entwurfs herum. Die Grünen in Rheinland-Pfalz haben dieser eleganten Beschaffungspolitik eine Absage erteilt. Auch in der evangelischen Kirche werden die Stimmen derjenigen laut, die ihr Leben selbst unversehrt beschließen wollen, denen sich auf diesem letzten Weg jede Nützlichkeitserwägung verbietet. Erika Feyerabend

Genarchiv Essen/FINRRAGE

Beim Genarchiv, Friederikenstr. 41, 45130 Essen ist eine Broschüre „Transplantation – Zur Wegnahme von Körperstücken und ihrem Verbleib“ erhältlich. Preis: 15 DM