Junkie go home ...

„Rückkehrhilfe“ für deutsche Junkies in den Niederlanden droht das Aus, da Bund und Länder sich um die Finanzierung streiten / Grenzüberschreitende Zusammenarbeit gefährdet  ■ Aus Amsterdam Jeanette Goddar

Thomas * dürfte so Anfang 40 sein, vielleicht – und das ist wahrscheinlicher – ist er doch nicht älter als Mitte 30. Er gehört zu den Junkies, die sich auch im Winter Tag und Nacht auf Amsterdams Straßen herumtreiben – auf der Suche nach ein paar Gulden und ohne Zuhause. Thomas kommt aus Süddeutschland und schlägt sich schnorrend auf der Einkaufsmeile zwischen Bahnhof und Leidseplein durch – mit einer Decke über den Schultern, die Füße in notdürftig zusammengeflickte Schuhe gesteckt. Klar sei es Scheiße, auf der Straße zu leben, sagt er. Aber immer noch besser als Knast in Deutschland. Mehr erzählt er nicht. Weitere Informationen nur gegen Bares. Denn das bräuchte er derzeit am dringendsten. Mit seiner Flucht in die Niederlande vor zehn Jahren verlor Thomas auch das soziale Netz der Bundesrepublik. In den Niederlanden lebt er illegal – ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis und damit auch ohne Sozialhilfe, ohne Krankenversicherung.

Thomas ist nur einer von etwa 600 bis 800 deutschen Junkies in Amsterdam. Und diese sind nur der Rest von ehemals 2.000 deutschen Junkies, die für die Amsterdamer Stadtregierung zum immer größeren Problem wurden. Seit 1978 leistet sich die Stadt deshalb AMOC – einen Hilfsverein für (überwiegend) drogenabhängige Deutsche. Lediglich ein Drittel der Mittel kommt vom Auswärtigen Amt in Bonn, den Rest zahlt die Stadt.

Fünf AMOC-Mitarbeiter kümmern sich auf der Straße, in der eigenen Teestube sowie in Beratungsgesprächen um die, die hier hängengeblieben sind. Ihr erklärtes Ziel ist, deutsche Junkies ohne Perspektive zur Rückkehr zu bewegen. Unterstützt wird AMOC dabei seit sechs Jahren von der „Rückkehrhilfe“, die an den Landschaftsverband Westfalen-Lippe angegliedert ist und über Büros in Münster und Amsterdam verfügt.

Doch mit dem Auslaufen des Modellprojektes am 1. Januar droht der „Rückkehrhilfe“ nun das Aus. Das Bundesgesundheitsministerium will die Kosten an die Länder übergeben. Nordrhein-Westfalen finanziert bereits eine der drei Stellen – zwei weitere Länder konnten bisher nicht gefunden werden.

Damit droht jetzt ein Stück konkrete grenzüberschreitende Zusammenarbeit im vereinigten Europa an 200.000 Mark zu scheitern. Noch pendeln die drei Mitarbeiter der „Rückkehrhilfe“ jede Woche von Amsterdam nach Münster. Denn die meisten Junkies brauchen mehr als nur eine Fahrkarte: Ohne Nachbetreuung und Unterstützung sei eine langfristige Rückkehr kaum möglich, berichtet Ingeborg Schlusemann, Geschäftsführerin von AMOC.

Seitdem Amsterdam in den siebziger Jahren den Ruf als liberales Drogenmekka erhielt, ist seine Anziehungskraft ungebrochen. Gerade aus Deutschland kommen viele. Sie fliehen vor der Justiz, aus dem Knast, vor der Intoleranz der deutschen Bevölkerung und sind auf der Suche nach billigerem und qualitativ besserem Stoff. Nach Erkenntnissen der „Rückkehrhilfe“ fühlen sich Junkies allerdings stärker aus Deutschland herausgedrängt als von Amsterdam angezogen.

Gern gesehen sind sie dort ohnehin nicht. Seit 1984 bemühen sich die Niederlande mit ihrer „Entmutigungspolitik“ die Anzahl ausländischer Junkies zu reduzieren. Außer der medizinischen Notversorgung bleibt das Drogenhilfesystem ihnen vorenthalten – keine Substitution mit Methadon, keine Entgiftung, keine Therapie.

Die Klientel von AMOC und der „Rückkehrhilfe“ ist daher auch unter Drogenabhängigen eine „Negativauslese“: Viele leben seit Jahren auf der Straße und haben bereits diverse Therapien abgebrochen. Über die Hälfte ist seit mehr als zehn Jahren abhängig, gegen fast ebensoviele liegt in Deutschland ein Haftbefehl vor. Vierzig Prozent sind mit dem HI- Virus infiziert. Wenn sie krank werden, wollen die meisten zurück nach Deutschland. Doch nicht nur Aids-kranke Junkies sind nach Jahren ohne medizinische Betreuung in einem miserablen körperlichen Zustand.

Mit etwa hundert Drogenabhängigen im Jahr hat die „Rückkehrhilfe“ Kontakt. Die meisten kommen über AMOC. Mit Hilfe beider Institutionen geht etwa jeder Zweite dauerhaft zurück nach Deutschland. Die Rückkehrhelfer bemühen sich bei jeder Anfrage zunächst, humane Rückwege zu finden. Erst wenn ein solcher gefunden ist, verläßt der Klient Amsterdam. Im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes und im Kontakt mit Richtern und Staatsanwälten können ausstehende Haftstrafen beispielsweise in Therapieauflagen umgewandelt werden. Dann organisieren die Rückkehrhelfer Entgiftungs- und Therapieplätze oder eine Methadonbehandlung. Einen Rechtsanspruch gibt es auf all diese Leistungen nicht. „Wir sind auf das Entgegenkommen des Staatsanwalts angewiesen“, erklärt ein Mitarbeiter. Doch gerade bei Straffälligen mit HIV und Aids sei die Justiz oft kooperativ.

Meist über Monate werden die Rückkehrer in Deutschland nachbetreut. Einige von ihnen schaffen den Schritt in die Bundesrepublik dennoch nicht. Ingeborg Schlusemann hat so manchen sieben- oder achtmal nach Amsterdam zurückkommen sehen. Andere finden zwar eine Erstaufnahme in Deutschland, bekommen dann aber keinen Therapie- oder Pflegeplatz. So bemüht sich AMOC momentan, einen 40jährigen Aids- Kranken, der Amsterdam nach 16 Jahren verlassen hatte, doch noch in den Niederlanden unterzubringen. Ein deutsches Krankenhaus bat AMOC telefonisch um Rücknahme: Bei ihnen sei kein Platz, und schließlich habe der Kranke doch über 16 Jahre in Amsterdam gelebt.

Trotz all dieser Widrigkeiten eröffneten die Rückkehrhelfer seit 1987 352 Männern und Frauen einen Weg zurück aus der Perspektivlosigkeit des illegalen Aufenthaltes. Wenn nicht bald etwas geschieht, könnte es bei dieser Zahl bleiben.

*Name von der Redaktion geändert.