Alle gänzlich unschuldig in Sachsen-Abtritt

■ Gehälter-Affäre der Magdeburger West-Importe bringt Münch um sein Amt / Neue Regierungsbildung noch unklar / SPD fordert Neuwahlen

Magdeburg (taz) – Manche skandalgeschüttelten Politiker kleben noch wochenlang wie Kletten auf ihren Amtssesseln, in Magdeburg ging es jetzt vergleichsweise schnell. Sachsen-Anhalts christdemokratischer Ministerpräsident Werner Münch trat gestern mittag in Magdeburg zurück. Der aus Niedersachsen importierte Politiker zog mit diesem Schritt die Konsequenz aus der sogenannten Gehälter-Affäre. Münch und drei seiner fünf West-Minister haben sich nach Überzeugung des Landesrechnungshofes mit falschen Angaben über ihre früheren Bruttoeinkünfte ungerechtfertigt hohe Gehälter in Sachsen-Anhalt erschlichen. Mit ihm seien alle zehn anwesenden Minister aus Solidarität ebenfalls zurückgetreten, teilte Münch in einer knappen Erklärung im Anschluß an eine vierstündige Krisensitzung des Kabinetts mit. Eine andere Möglichkeit blieb den Ministern allerdings auch nicht, mit dem Rücktritt des Regierungschefs verloren sie automatisch ihre Ämter.

Unmittelbar nach dem Rücktritt der Regierung Münch entwickelten die Koalitionsfraktionen CDU und FDP hektische Betriebsamkeit, um die Regierungskrise in Sachsen-Anhalt möglichst umgehend zu bereinigen. Während sich die FDP-Fraktion zu einer außerordentlichen Sitzung im Landtag traf, kamen in der Magdeburger CDU-Parteizentrale die Mitglieder des Landesvorstandes zusammen. Münchs Nachfolger, so beschloß das Gremium gestern abend, wird voraussichtlich der jetzige CDU-Fraktionschef Christoph Bergner. Auf diesen Vorschlag konnte sich der Landesvorstand einstimmig einigen. Gleichzeitig forderte er eine zügige und umfassende Klärung der vom Landesrechnungshof erhobenen Vorwürfe und „in diesem Zusammenhang erfolgten Indiskretionen“. Ex-Regierungschef Werner Münch ist gleichzeitig Landesvorsitzender der Union in Sachsen-Anhalt und war bis gestern einziger Kandidat für die Neuwahl des Landeschefs am kommenden Sonnabend. Am Abend gab Münch bekannt, daß er auch für dieses Amt nicht wieder kandidieren werde.

In seiner Rücktrittserklärung als Regierungschef wies Münch noch einmal alle Schuld von sich und erklärte, daß er im Bewußtsein zurücktrete, „daß weder einen Minister noch mich irgendeine Schuld trifft“. Der Abtritt seiner Regierung erfolge ausschließlich, „um weiteren Schaden von unseren Familien, vom Land und den Regierungsparteien abzuwenden“. Die Zukunft werde zeigen, prophezeite Münch, daß hier „eine nicht zu begreifende Kampagne die Regierung zu diesem Rücktritt gezwungen hat, die in nur drei Jahren auch im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern im Verwaltungs- und Justizaufbau, bei der Sanierung der Umwelt, des Gesundheits- und Sozialwesens oder den Investitionen zur Sicherung und Schaffung vieler moderner Arbeitsplätze Enormes geleistet hat“.

Die SPD-Opposition begrüßte in einer ersten Stellungnahme den Rücktritt der Landesregierung. „Es war höchste Zeit“, so SPD-Fraktionschef Reinhard Höppner. Mit einer parlamentarischen Initiative wollen die Sozialdemokraten in der Landtagssitzung an diesem Donnerstag die Auflösung des Landtags und die Ausschreibung von Neuwahlen beantragen. Das Land und seine Bürger hätten ein Recht auf klare politische Verhältnisse.

Die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP wollen sich aber offensichtlich nicht auf diesen Weg einlassen. In ihren Sitzungen versuchten Union und Liberale gestern die schnelle Bewältigung der Regierungskrise von Sachsen-Anhalt unter Dach und Fach zu bringen. Im Vorfeld dieser Sitzungen wollten weder Sprecher der CDU noch der FDP irgendwelche Erklärungen zur aktuellen Situation abgeben.

Horst Schröder, der als Präsident des Landesrechnungshofes die ganze Affäre ins Rollen gebracht hatte, war bis Redaktionsschluß zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen. Bei der Überprüfung der Bezügestelle im Magdeburger Finanzministerium hatten seine Prüfer festgestellt, daß Münch und 3 seiner 5 West-Minister ungerechtfertigt überhöhte frühere Bruttoeinkünfte angegeben hatten und so in den Genuß von Zuschlägen auf das ihnen nach dem Haushaltsgesetz des Landes zustehende Gehalt in Höhe von derzeit 80 Prozent des West-Niveaus gekommen waren.

Finanzminister Wolfgang Böhmer (CDU) hatte daraufhin am vergangenen Dienstag die Zahlung sämtlicher Zuschläge an die West-Minister ausgesetzt. Nach dem Rücktritt der Regierung bekommen jetzt zunächst alle Ex-Minister und auch Münch ihr Gehalt für drei Monate weiter. Und zwar in Höhe von 100 Prozent des West-Tarifs. Denn das im Ministergesetz festgelegte Übergangsgeld unterliegt nicht dem reduzierten Ost-Tarif. Eberhard Löblich

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