Wo der Elefant seinen Frieden fand

■ Von der heilsamen Kraft des Theaters: Punks und Skins aus Krakau spielen Shakespeare / Heute im Jungen Theater

Der Elefant und der Sarg prügeln sich nicht mehr. Jedenfalls „nicht mehr untereinander“, sagt der Elefant und schüttelt seine rosa Mähne. Der Punk aus Krakau/Nowa Huta hat seinen Frieden mit Trumna, dem „Sarg“ aus der Skinszene gemacht, seit sie miteinander Theater spielen. Nur noch auf der Bühne wird gekämpft: in den Rollen der Capulets und Montagues, der verfeindeten Familien aus „Romeo und Julia“. Mit dem symbolträchtigen Stoff hat das Jugendtheaterprojekt des Krakauer Teatr Ludowy inzwischen Furore gemacht. Schon wird es als „beispielhaftes Projekt sozialer Integration“ gepriesen. Die heimische Presse jubiliert, aber Nachahmer an deutschen Theatern gibt es keine. Nach einem Gastspiel im Herbst in Berlin spielen die 30 Skins und Punks ihr Lehrstück jetzt in Bremen und Hamburg.

Nein: Unter Schauspielern haut man sich nicht mehr die Schädel ein, „aber auf der Straße müssen wir immer noch kämpfen“, sagt der Elefant, „und wir werden kämpfen“. Der Ruf einer befriedeten Gang eilt der Truppe zwar voraus; einer Gang, die durch die wundersamen Heilkräfte des Theaters zur Gewaltlosigkeit bekehrt wurde. Aber in Nowa Huta, der Trabantenstadt von Krakau, gibt es weiter Keile zwischen Punks und Skins. Nur vor dem Theater nicht mehr.

Und das ist für Jerzy Fedorowicz, den Intendanten des Hauses, schon ein kleines Wunder. Im Winter 91/ 92 hatten sich die Cliquen direkt vor dem Teatr Ludowy Straßenschlachten geliefert. Statt die Polizei zu bemühen, engagierte der Intendant die Randalierer vom Fleck weg für ein gemeinsames Shakespeare- Projekt. „Das Theater kann als eine Art Verhaltensschule funktionieren“, sagt Fedorowicz überzeugt, und es klingt gar nicht nach dem üblichen Sozialarbeitergewäsch. Denn durch die gemeinsame Arbeit an der Shakespeare-Adaption haben sich einige der Skins tatsächlich von ihren faschistischen Kraftsprüchen distanziert. Dicke Freundschaften sind entstanden, nicht genug damit: Es gab sogar eine Hochzeit in der Gruppe. „Sie haben gelernt, miteinander zu lachen und zu leben – das ist das Wichtigste“, sagt der Regisseur. Da grinst der Elefant und prostet mit dem Colaglas dem Sarg zu.

Wie das Wunder zustandekam, kann sich eigentlich niemand mehr erklären. „Es ist einfach passiert“, sagt Fedorowicz; „mir scheint, daß die Jugendlichen es einfach wollten.“ Vorher habe sich das Theater ja auch nie um diese Gruppen gekümmert. Dabei kämen doch zu 90 Prozent junge Leute ins Teatr Ludowy. „Dieses Theater dient den jungen Leuten, und unser Stück beweist, daß sogar die Schwierigsten unter ihnen etwas verändern können, wenn sie nur eine Chance bekommen.“

Davon profitiert natürlich auch das Theater. Denn verändert haben sich nicht nur die Punks und Skins, sondern auch Romeo und Julia. Zu heftigen Metalklängen toben die Protagonisten in Lederjacken und Springerstiefeln über die Bühne, kriegen sich Irokesen und Kahlköpfe in die Haare. Ganz ohne Kriegsrhetorik. Fedorowicz und die Gruppe haben die Dialoge abgespeckt, das Stück „dynamisiert“ und auf neun intensive Szenen gerafft. Ein Tribut an den Amateurstatus der Jugendlichen; aber um die verbliebenen 45 Minuten Shakespeare beneiden die etatmäßigen Schauspieler am Theater die Gruppe – „vor allem natürlich wegen des Ruhmes“, sagt der Regisseur.

Die Publicity aber hat dem Projekt nicht nur genutzt. Vor genau einem Jahr nahm sich der „Spiegel“ der spektakulären Truppe an, zitierte einige starke Sprüche eines Einzelnen und stellte flugs das ganze Kollektiv als Bande von Judenhassern dar. Prompt folgte eine Ausladung vom Neuen Theater in Halle: Der Direktor fürchtete Randale unter heimischen Gangs, und außerdem sei sein Haus „keine Spielstätte für derlei modernistischen Unsinn“. Den haben seither die Zuschauer in Berlin und Freiburg reichlich beklatscht. Daheim in Nowa Huta waren alle 30 Vorstellungen ausverkauft. Und gekämpft wurde nur im Theater.

Thomas Wolff

Heute abend, 20.30 Uhr, im Jungen Theater; anschließend gibt es die Möglichkeit zum Gespräch