Papierflugzeuge im Preußischen Landtag

■ Über 1.000 Studenten stürmen Abgeordnetenhaus – und Vizepräsident Tino Schwierzina läßt Polizei aufmarschieren

Als die Pförtner erkannten, was sich hinter ihrem Rücken zusammenbraute, war es bereits zu spät: Weit über 1.000 Studentinnen und Studenten waren in das Foyer des Preußischen Landtags geströmt, um Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) bei der gestrigen Sitzung des Wissenschaftsausschusses Mores zu lehren. Da half es auch nicht, daß die Pförtner sich mit vereinten Kräften gegen die Türen stemmten. Der Druck der Massen von außen war so stark, daß sie weichen mußten.

„Das Volk hat entschieden“, kommentierte ein ungewöhnlich lockerer Polizist die Einnahme des Landtags durch die demonstrierenden Studenten und entriegelte die zweite Hälfte der Flügeltür – um zu verhindern, daß in dem Gedränge jemand Schaden nimmt. Der Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, Tino Schwierzina (SPD), der als Vertreter der abwesenden Präsidentin Laurien das Hausrecht besaß, ließ solch souveränes Handeln dagegen zunächst vermissen. Auf seinen Räumungsantrag hin schritt die Polizei ein und beförderte die Demonstranten zum Teil sehr unsanft vor die Tür. Erst als nur noch wenige hundert Studenten übrig waren, lenkte Schwierzina ein und gestattete diesen, nun vor den geöffneten Türen die Sitzung des Wissenschaftsausschusses zu verfolgen.

Eine gute Stunde lang war der Landtag gestern mittag wie verwandelt. Soweit das Auge reichte, wimmelte es im Foyer von Menschen. Die breiten Steintreppen rechts und links des Eingangs waren ebenso dicht bevölkert wie die Empore im zweiten Stock. Während die Pfiffe in dem hohen Raum widerhallten, segelten von oben ganz gemächlich aus Flugblättern gefertigte Papierflugzeuge herab. Eine Gruppe von Studentinnen trällerte „Die Gedanken sind frei“, ein Saxophonspieler intonierte „Freude schöner Götterfunken“.

Obwohl der Protest kaum friedlicher hätte sein können, ordnete Schwierzina die Räumung an. Die Abgeordneten der Grünen, die sich als einzige der Diskussion mit den Studenten stellten, hatten zuvor noch vergebens versucht, die Polizeiaktion abzuwenden. Unter ohrenbetäubendem Gebrüll „Bullen raus!“ packten die Beamten die auf dem Boden Sitzenden und schleppten sie aus dem Haus. Manche gingen dabei überaus hart vor, schlugen auf die Demonstranten ein, zogen sie an den Haaren oder schubsten sie vor sich her die Treppe hinunter. Etliche kamen dabei auf den Stufen zu Fall. Daß es zu keinen größeren Verletzungen gekommen ist, grenzt an ein Wunder. Draußen angekommen, wurde die Mehrzahl der Studenten hinter die Absperrung entlassen. Einige wurden aber auch, um Strafanzeigen aufzunehmen, zu den Polizeiwannen geschleppt.

Aber es gab auch ganz andere Bilder: Polizisten, die vom vielen Stufensteigen puterrot im Gesicht waren, aber trotzdem freundlich blieben und Verständnis für das Anliegen der Demonstranten zeigten. Einige von ihnen geleiteten die Studentinnen und Studenten so angeregt ins Gespräch vertieft die Treppe hinunter, als würden sie spazierengehen. Nach erneuter Intervention der Grünen lenkte Schwierzina schließlich kurz vor 15 Uhr ein. Die Polizei setzte den Beschluß ungewöhnlich schnell in die Tat um, indem sie sofort von den verbleibenden Studentinnen abließ. Plutonia Plarre