Alte Kader, neue Nazis und müde Wähler

Zulauf im Cottbusser Kommunalwahlkampf hat nur die PDS / Auch ein Rechtsradikaler will OB werden  ■ Von Anja Sprogies

Fünf Cottbusser männlichen Geschlechts vertreiben sich am Tresen des „Muskauer“ in der Plattenbausiedlung Sandow den Feierabend mit altbekanntem Stammtischgewäsch über Frauen, Sex und Politik. Noch ist das Lokal leer. In einer Stunde soll hier eine Wahlkampfveranstaltung der FDP stattfinden. Denn am 5. Dezember werden in Brandenburg neue Kommunalparlamente gewählt.

Thomas mit dem grüngestreiften Sweatshirt ist offenbar der Wortführer in der Tresen-Hierarchie. Er mokiert sich über eine asiatische Frau aus dem China-Restaurant im ersten Stock, die auf dem Barhocker neben ihm soeben Platz genommen hat, um eine Pause zu machen. Der junge Mann verzieht seine Nase, nuckelt demonstrativ genüßlich an seiner Zigarette und zwinkert anzüglich. Die anderen lachen. Mann versteht. Thomas wechselt weltmännisch das Thema. „Wen wählt ihr?“ Der blonde Jüngling hinter dem Tresen verkündet stolz, er habe seine Wahlkarte bereits weggeworfen. Beifall. „Die SPD, die soziale Partei“, Thomas versucht ironisch zu sein. „Wähl doch den Hübner“, schlägt ein Dicker vor. Er meint Frank Hübner, den Chef der verbotenen „Deutschen Alternative“ (DA). „Der ist doch bloß in Sachsendorf zugelassen“, meint jemand. Und die Herren bedauern offensichtlich, in einem anderen Stadtteil zu wohnen. Aber Thomas weiß Abhilfe: „Zum Oberbürgermeister kannst ihn überall wählen.“

Die Hauptstadt der Lausitz ist die einzige Stadt in Brandenburg, in der ein Rechtsradikaler für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert. Außerdem stehen Hübner und ein unbedeutender Kamerad auf der Liste der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ für die Cottbusser Stadtverordnetenversammlung. Den beiden Neonazis werden jedoch nur geringe Chancen eingeräumt, in das Parlament einzuziehen. Der Liga gelang es lediglich im Wahlkreis Sachsendorf, wo 30.000 Menschen hinter grauen Platten hausen, die erforderlichen 30 Unterschriften beizubringen. In den restlichen sechs Kreisen scheiterte die rechte Partei bereits an dieser Hürde.

Trotzdem reden alle von Hübner, obgleich er noch keine Wahlveranstaltung zustande gebracht hat und angesichts der winterlichen Temperaturen auch nicht das übliche, sonnabendliche Gespräch mit den BürgerInnen vor den Einkaufszentren sucht. Gelegentlich, meist mittwochs, taucht er mit Gefolgschaft in der Kneipe „Wassermann“ am Rande der Neubausiedlung Sachsendorf auf. Jedoch auch in dieser gemütlich schmuddeligen Kneipe darf er keine Wahlveranstaltungen mehr abhalten. Der Wirt, Arno Beier, hat „die Nase voll“ von dem ständigen Ärger mit der Polizei. Sogar seine Wohnung wurde durchsucht. Beier holt den Durchsuchungsbefehl und beteuert, „natürlich“ hätten die Beamten nichts bei ihm gefunden. Er habe nichts „mit denen“ zu tun und würde die Rechten auch nicht wählen. Der Wirt hatte bis zum Verbot der DA seine Räume für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt. Der Grund: Seine Kneipe stand kurz vor dem Konkurs. „Ich war auf den Umsatz angewiesen, doch jetzt ist Schluß damit.“

Mehr Angst als vor der rechten Liga haben CDU und SPD in Cottbus vor der PDS, die schon bei der Kommunalwahl vor vier Jahren über 20 Prozent der Stimmen für sich gewinnen konnte.

Von den Wahlplakaten auf einer verschneiten Litfaßsäule in der kleinen Cottbusser Altstadt blicken von Wahlplakaten die SPD- und CDU-Oberbürgermeister- Kandidaten Wolfgang Bomsdorf und Waldemar Kleinschmidt auf die Passanten herab. Eine Gruppe von älteren Männern, in dicke Wintermäntel gehüllt, bleibt davor stehen. „Die haben doch keine Chance“, meint einer, und ein anderer weiß, warum: „Wir wählen die PDS.“ In der früheren Bezirksstadt Cottbus tummeln sich die alten Kader und halten treu ihrer Partei die Fahnenstange. Zu einer Veranstaltung mit dem PDS- Zugpferd Gregor Gysi erschienen immerhin über 1.000 GenossInnen.

Von solchen Besucherzahlen können die anderen Parteien nur träumen. „Zwischen zwei und fünfzig Leuten kommen zu uns“, schätzt der SPD-Mann Bomsdorf. Kleinschmidt nennt ähnliche Zahlen. Als Kanzleramtsminister Bohl die Stadt zwecks Wahlkampf vergangene Woche besuchte, seien weniger als fünfzig Cottbusser gekommen, erzählt Kleinschmidt enttäuscht. „Die Leute haben einfach kein Interesse“, klagt Bomsdorf. Womit die dritte Besonderheit bei der Cottbusser Kommunalwahl genannt wäre: die voraussichtlich hohe Zahl der Nichtwähler. „Wenn fünfzig Prozent zur Urne gehen sind wir schon zufrieden“, meint Bomsdorf. Nach seiner düsteren Miene zu schließen, glaubt er nicht mal das.

„Die Cottbusser haben andere Probleme“, vermutet der amtierende Oberbürgermeister Kleinschmidt. „Wir haben kein Vertrauen in die Politik“, sagen dagegen viele Passanten auf der Straße.

Cottbus, Zentrum der Lausitzer Braunkohleindustrie, hat in den vergangenen vier Jahren viel Prestige und Wirtschaftskraft einbüßen müssen. Die 120.000-Einwohner-Stadt weist heute eine offene und verdeckte Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent auf. Immer noch sind 10.000 Arbeitsplätze in der Stadt abhängig von der Braunkohle, die keiner mehr haben will. Die 1156 gegründete Slawenstadt ist derzeit die einzige in Brandenburg, die ihr neues Heizkraftwerk mit der heimischen Kohle betreiben will. Alle anderen, insbesondere die Landeshauptstadt Potsdam, ziehen das günstigere und umweltschonendere russische Erdgas vor. „Wie wissen nicht, was werden wird“, meint ein im Tagebau Beschäftigter. Die tiefe Verunsicherung der Region ist ein guter Boden für Parteien mit den ganz einfachen Antworten.

Ein weiteres Standbein der Cottbusser Industrie wurde in den vergangenen Jahren abgewickelt: die Textilwirtschaft. Über 150 Jahre stand Cottbus in dem Ruf, führende Tuchmacher-Region in Deutschland zu sein. Von den einst 30 Webereien ist jedoch nur eine übriggeblieben – das ehemalige Textilkombinat. Früher fanden hier 6.000 Beschäftigte Arbeit, heute ist der größte Konfektionshersteller der DDR auf 600 Mitarbeiter geschrumpft.

Auch die Einzelhändler in der Cottbusser Innenstadt, die traditionelle Stammwählerschaft der CDU, sind verärgert. Zwei riesige Einkaufscenter vor den Stadttoren ziehen den kleinen Geschäften die Kunden ab.

Die bisher regierende Große Koalition, bestehend aus CDU, SPD und FDP, müht sich mit mäßigem Erfolg, das Image der Stadt aufzupolieren. Wenn aber ein kleiner, hübscher Altstadtkern umgeben ist von eintönigen Plattenbausiedlungen wie in Cottbus, dann bleiben eben die Touristen aus. Wenn eine Stadt so weit im Osten der Republik liegt, dann lassen sich nur wenige Investoren finden. Und wenn die Bevölkerung nicht eingreift, wenn über Tage hinweg ein Asylbewerberheim von Skinheads attackiert wird – so geschehen im September 1992 –, dann fällt es schwer, das Image einer Hochburg des aufkommenden Rechtsradikalismus in Deutschland loszuwerden.

Zwar kann Oberbürgermeister Kleinschmidt auf seinem Konto verbuchen, daß Cottbus 1995 als erste ostdeutsche Stadt die Bundesgartenschau (Buga) austragen wird. Doch auch dieses Projekt ist noch nicht gesichert. Die Regierungspartei ist der Meinung, daß Cottbus die Buga überhaupt nicht finanzieren könne und zudem „andere Probleme“ habe, so der stellvertretende Bürgermeister Werner Labsch (SPD).

Wie in allen niedergehenden Industriestädten wird auch in Cottbus die Vision von der „Dienstleistungsmetropole“ gepflegt. Schon heute sind in Landesbehörden, etwa dem Landesamt für Arbeit und Soziales und der Oberfinanzdirektion, über 4.000 Menschen beschäftigt. Einen Imageschub gegen den dumpfen Rechtsextremismus erhofft man sich auch von der 1991 gegründeten Technischen Universität, die vor allem durch ihr Fachgebiet Umweltwissenschaften bekannt geworden ist. Dieser Zweig beschäftigt sich vor allem mit dem Umweltschäden, die durch die Energiewirtschaft und die chemische Industrie in der Lausitz verursacht wurden. Doch ob eine solche Zukunftsinvestition dem Oberbürgermeister Stimmen einträgt, ist fraglich.

Der Knüller im lauen Cottbusser Wahlkampf ist dann schon eher das Thema Innere Sicherheit. Alle demokratischen Parteien, und Hübner allen voran, sprechen sich für eine Verstärkung der Polizei aus. Obgleich der SPD-Mann Bomsdorf gleich beflissen einschränkt: „Wir wollen natürlich keinen Polizeistaat errichten.“ Nach einer Untersuchung des Kölner Instituts für empirische Psychologie fühlen sich 82 Prozent der befragten Bürger in Cottbus nicht sicher. Von der Bevölkerung wird ein härteres Durchgreifen der Polizei erwartet, obgleich die Kriminalität in Cottbus weit unter der in vergleichbaren Städten Westdeutschlands liegt.

Politische Alternativen haben in einem solchen Klima kaum Chancen. Immerhin ist Cottbus die einzige Stadt in Brandenburg mit einer Frauenliste, auf der parteilose Cottbusserinnen in allen sieben Wahlkreisen antreten. Daneben stellt noch das Bürgerbündnis mit Markus Derling, der durch seine kritische Oppositionstätigkeit in der Cottbusser Stadtverordnetenversammlung überzeugte, einen eigenen OB-Kandidaten. Das Bürgerbündnis versteht sich als konservative „Stattpartei“ und hat im Wahlkampf hauptsächlich damit zu kämpfen, nicht mit Bündnis90/Die Grünen verwechselt zu werden. Nach der Meinung eines Kaufhausangestellten sind das nämlich alles gleichermaßen „Spinner“.

Ähnlich sehen das auch die Herren im „Muskauer“ am roten Tresen, die mittlerweile von der Politik auf das Thema Fußball umgeschwenkt sind. Während Thomas sich fragt, wann und im welchem Programm die Uefa-Cup-Spiele übertragen werden, bereitet eine junge Frau den Saal für die FDP- Wahlkampfveranstaltung vor. Drei Tische werden in die Mitte der Tanzfläche geschoben, mit weißen Decken überzogen und mit Plastikblümchen verziert. Auf einem separaten Tisch werden Getränke bereitgestellt, dreißig Flaschen Bier und ein paar Säfte. Um achtzehn Uhr soll die Veranstaltung beginnen, erzählt der junge Kellner. Fünf Minuten nach sechs trifft der erste Gast ein, ein Parteimitglied. Eine Stunde später haben sich in dem großem Saal sechs Cottbusser eingefunden. Immerhin einer mehr als in der Runde am Tresen.