Bergarbeiter drohen mit Streik

Rußlands Regierung im Wahlkampf unter Druck / Bergarbeiter wollen Sicherheiten / Löhne teilweise seit Monaten nicht ausgezahlt / Die Branche vor Umstrukturierungen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Vizepremier Jegor Gaidar reist seit Tagen durch Rußland, um auf streikbereite Bergleute zwischen Workuta, Nadym und Kemerowo besänftigend einzuwirken. Sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden, haben die Kumpel für den 1. Dezember Streikmaßnahmen angekündigt. Im westsibirischen Nadym befinden sie sich schon im Ausstand. Zunächst verlangen sie nur ihre Löhne, die in Nadym seit Juni und in Workuta seit September nicht mehr ausgezahlt wurden. Nach Angaben des Ministeriums für Energieindustrie steht der Staat bei den Bergarbeitern insgesamt mit 330 Milliarden Rubel in der Kreide. Moskau blieb allein Workuta nach laufendem Tarifvertrag 24 Milliarden Rubel schuldig.

Die Front der Streikenden ist nicht geschlossen. In Workuta geben sich die in der unabhängigen Gewerkschaft organisierten Arbeiter härter und entschlossener als ihre Kollegen der alten, aus Sowjetzeiten überkommenen Organisation „Rosugleprof“. In Anbetracht des Wahlkampfes – gewählt wird am 12. Dezember – ließen sie sich nicht vor den Karren von Parteien und Bewegungen spannen, die die „Bergarbeiter-Karte“ spielen wollen, hieß es in einer Resolution. Einen von Gaidar angebotenen Vermittlungsvorschlag wiesen die unabhängigen Gewerkschaften zurück. Für die Wahlen kündigten sie an, all jene Wahlblöcke zu boykottieren, in denen Mitglieder der Regierung kandidieren.

Die Warnschüsse der Bergarbeiter haben in Moskau ihre Wirkung nicht verfehlt. Für russische Verhältnisse reagierte die Regierung ziemlich schnell. Vizepremier Tschernomyrdin, selbst jahrelang Energieminister der UdSSR, kündigte letzte Woche an, 100 Milliarden Rubel „aufgetrieben“ zu haben. Einige zweistellige Milliardenbeträge wurden sofort in die Regionen überwiesen. Gaidar erwog sogar den Verkauf der Staatsjuwelen, um die Schulden zu begleichen.

Das Problem liegt nicht allein an der Zentrale in Moskau und einem unverantwortlichen Finanzminister, wie es ein Teil der Gewerkschafter darstellt. Ein Großteil der Gelder ist bisher von den Kohleverbrauchern an den Staat nicht abgeführt worden. Energieunternehmen stehen mit 121 Milliarden, metallverarbeitende Industrien mit 130 Milliarden allein in Workuta im Soll. Insgesamt sollen sich die Schulden auf die gigantische Summe von sieben Trillionen Rubeln belaufen.

In Workuta und im Kusbass zählten die Kumpel bisher zu den entschiedensten Befürwortern der Wirtschaftsreformen. Am 1. Juli gab Moskau den Forderungen der Kohleindustrie nach, räumte ihr das Recht zu freier Preisgestaltung ein und öffnete direkten Zugang zum Weltmarkt. Die Deviseneinnahmen mußten nicht gegen Rubel verkauft werden. Die Erwartungen der Kumpel erfüllten sich jedoch nicht. Die Kosten für notwendige Ressourcen wuchsen schneller als die Nachfrage nach Kohle, die aufhörte, ein Mangelprodukt zu sein. Dieses Jahr sank die Förderung um zehn Prozent.

Schon jetzt liegen die Förderkosten um 200 Rubel über dem Verkaufspreis. Auch Rußlands Kohleindustrie steht vor gewaltigen Umstrukturierungen. In den Regionen macht sich daher die Angst breit, unrentable Gruben könnten demnächst reihenweise geschlossen werden.