Die Geisha legt ihr Make-up ab

Harte Zeiten an der Tokioter Börse: Der Nikkei-Index sackt auf ein Jahrestief, doch die japanische Regierung verbietet den Bürokraten, die Baisse zu kurieren  ■ Aus Tokio Georg Blume

Die neue japanische Regierung hat mit ihrer Bekenntnis zur Deregulierung und einer offeneren Marktpolitik unerwartet rasche Erfolge. Doch glücklich wird sie damit nicht. Denn ausgerechnet die rasante Baisse an der Tokioter Börse legt bisher das beste Zeugnis dafür ab, daß die Anleger dem Wort der Regierung Glauben schenken, wonach die Zeiten staatlicher Wirtschaftslenkung in Japan endgültig vorbei sind. Gestern setzte sich die Talfahrt in atemberaubendem Tempo fort: Mit 647,66 Punkten verzeichnete der Nikkei- Aktienindex seinen stärksten Tagesrückgang in diesem Jahr. Gleichzeitig sackte er auf ein neues Jahrestief von 16.078,71 Punkten ab. Allein im November trifft den Nikkei damit ein Wertverlust von über 20 Prozent. „Seit Oktober beobachten wir einen Abwärtstrend bei den Halbjahresergebnissen der Unternehmen“, erklärte Yoshio Suzuki, Marktexperte des japanischen Wertpapierhauses Nomura, gestern die anhaltende Baisse. Tatsächlich sinken die japanischen Unternehmensgewinne bereits im vierten Jahr in Folge. Die meisten privaten Marktforschungsinstitute müssen deshalb ihre Prognosen revidieren. Vom ursprünglich zum Jahresende erwarteten Wirtschaftsaufschwung spricht niemand mehr.

Um so erstaunlicher aber ist, daß die Kabutocho diesen durchaus sinistren volkswirtschaftlichen Trends zu gehorchen scheint. „Wie eine Geisha, die ihr Make-up aufsetzt, waren es die Japaner gewöhnt, ihre wirtschaftlichen Makel zu maskieren“, beobachtete vergangene Woche der Londoner Economist. Für die Weltbörse Tokio wirkte dieses Make-up zeitweise grotesk: Alleim im Januar und Februar dieses Jahres pumpte das Finanzministerium 45 Milliarden Mark aus den öffentlichen Pensions- und Postsparkassen in den Aktienmarkt. Doch mit dem Erfolg, daß die sogenannten „Price keeping operations“ (PKO), die Preisstützungsmaßnahmen, der Regierung Ruhe und den Anlegern scheinbar himmlische Sicherheit gewährten – bis zum Regierungswechsel im August.

Zwar bleibt bis zum Jahresende Zeit genug, den Bürokraten erneut das Management der Börse zu übergeben. Doch die neue Regierung widerspräche sich damit selbst. Ziel ihrer Reformen ist es, der Politik jene Glaubwürdigkeit zurückzugeben, die sie in den vorrausgegangenen 38 Jahren Alleinherrschaft der Liberaldemokraten längst an eine übermächtige Bürokratie verloren hatte. Solange es an der Börse vor allem die reichen Banken und Lebensversicherungen trifft, da sich die Kleinanleger schon seit geraumer Zeit vom Markt zurückgezogen haben, hat die Politik sogar eine Siegeschance. Immerhin gab die Kabutocho am Montag ausnahmsweise Auskunft über den Zustand der Wirtschaft und nicht über die Denkweise von Bürokraten.