Vom verarmten Grafen zum Millionär

Knackpunkt beim letzte Woche in Bonn verabschiedeten Entschädigungsgesetz sind nicht die enteigneten Eigenheimbesitzer, sondern die „Bodenreformopfer“, sprich: der alte Landadel  ■ Von Jantje Hannover

Berlin (taz) – In der unendlichen Geschichte um das Entschädigungsgesetz ist mal wieder ein Vorhang gefallen – der Szenenapplaus nimmt sich mäßig aus. Unter Leitung des Bundeskanzlers hat die Bonner Koalitionsrunde Anfang letzter Woche den Vorschlag einer Arbeitsgruppe gebilligt, nach dem der größere Teil des Entschädigungsfonds vom Bund finanziert werden soll. Vermutlich wird diese Gesetzesvorlage nicht die endgültige Fassung sein. Beim heißen Eisen Entschädigung geht es zwar vor allem um Macht und Geld, in der jahrelangen Diskussion schlagen allerdings die emotionalen Wogen am höchsten: Da wird mit dem toten Opa der vergewaltigten Großmutter und dem Schmerz um die bei der Enteignung verlorene Heimat argumentiert.

Wichtigste Neuerungen der Vorlage: die Vermögensabgabe (30 Prozent des Rückgabewertes) für Alteigentümer fällt unter den Tisch und damit die von Theo Waigel geplante „haushaltsneutrale“ Finanzierung des Entschädigungsfonds. Dessen Gesamtvolumen wird gleichzeitig auf 187 Milliarden Mark aufgestockt – eine Summe, die nun der Steuerzahler berappen darf. Berechnungsgrundlage für die Ausgleichszahlungen ist nicht mehr der 1,3fache Einheitswert von 1935, sondern ein fiktiver Verkehrswert von 1990. Das entspricht mindestens einer Verdoppelung der Entschädigung. Über Schuldverschreibungen soll dieses Geld ab 2004 ausgezahlt werden.

„Wir sind angetreten, unseren Mitgliedern zumindest Teile ihres Eigentums zurückzuverschaffen.“ Rechtsanwalt Dr. von Hugo, Geschäftsführer der AFA (Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen) aus Braunschweig, sieht in der Neuregelung keinen Grund für Applaus. Hinter dem unscheinbaren Namen verbirgt sich die wichtigste Interessengemeinschaft der Alteigentümer. Man rechne mit einem erheblichen Wertverlust, da die Schuldscheine erst ab 2004 ausgezahlt werden.

Knackpunkt bei der Entschädigung sind nicht die einfachen Enteignungen, wie etwa bei Eigenheimbesitzern, für die der Einigungsvertrag klar die Rückgabe vorsieht. Ärger machen die sogenannten Nichtrestitutionsberechtigten, die „Bodenreformopfer“ (1945–49), die laut Einigungsvertrag keinen Anspruch auf Rückgabe haben. Die einstigen Herren über Grund und Boden sind es, die heute mit einer starken Lobby den Herren in Bonn im Nacken sitzen und das Entschädigungsgesetz wieder und wieder in den Ring schicken.

Vergeblich hatte Theo Waigel versucht, die leere Staatskasse vor neuen Heimsuchungen zu bewahren: Eine Expertenrunde aus Justiz und Wirtschaft, im September zur Begutachtung des Vorschlags aus dem Finanzministerium angetreten, hatte das Papier förmlich in der Luft zerrissen. Daß mit der Vermögensabgabe „Opfer Opfer entschädigen“ würden und gleichzeitig die Wertschere zwischen Rückgabe und vorgesehener Entschädigung zu groß sei, hielt man für verfassungsrechtlich bedenklich.

Um so besser standen die Chancen für das „Coupon-Modell“, geistiges Kind der Alteigentümerorganisation AFA, mit dem Hans Gattermann (FDP) im Oktober für neuen Zündstoff in der Bonner Diskussionsrunde sorgte. Das Modell sicherte den Anspruchsberechtigten Schuldscheine zu, die wahlweise gegen Naturalien, sprich: Immobilien und Boden, oder vom Jahre 2004 an gegen Bargeld einzulösen wären.

„Der kleine Mann wäre der Gewinner gewesen“, behauptet Baron Rudolph Freiherr von Schröder, der beim Coupon-Modell die Querelen um Rückübertragung und damit das Investitionshemmnis Nummer eins für den Aufschwung Ost aus der Welt geschaffen sieht.

Der adelige Geschäftsführer des OAC (Ost-Vermögens und Agrarconsult GmbH), in erster Linie eine Unternehmensberatungsgesellschaft für Alteigentümer, ist gleichzeitig Landwirt auf seinem Gutsbetrieb im Herzogtum Lauenburg. Nebenbei betreibt er die Rückgabe seines ostelbischen Grundbesitzes bei Klützer-Winkel in Mecklenburg-Vorpommern.

Tatsächlich hätte beim Coupon- Modell allein die Berechnung der Schuldscheine Jahre gedauert. Für die Ostdeutschen wäre dieser Vorschlag allerdings schlichtweg eine Katastrophe gewesen.

Kurt Pasewald, Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft Börde (Sachsen-Anhalt): „Das war doch nur ein Hintertürchen, um den Einigungsvertrag auszuhöhlen.“ Die zahlreichen Agrargenossenschaften in Ostdeutschland sind die Nachfolgeorganisationen der LPGs. Sie bewirtschaften bislang noch den Löwenanteil an Boden und sind damit die Intimfeinde der Alteigentümer.

Inzwischen ist auch das Coupon-Modell und damit der endgültige Ausverkauf Ost vom Tisch. Was die Arbeitsgruppe aus Abgeordneten, Bonner Staatssekretären, ostdeutschen Ministern und Verfassungsrechtlern jetzt vorgelegt hat, ist ein Kompromiß, mit dem alle Beteiligten halbwegs leben können.

Im Landwirtschaftsministerium von Brandenburg wird vorerst aufgeatmet. Zwar wäre die „Kuh noch nicht vom Eis“, wie Pressesprecher Detlef Herbst erklärt, „aber die wichtigste Forderung unseres Hauses, also die Trennung von Entschädigung und Rückgabe, hat Gehör gefunden“. Das Land Brandenburg war noch im September vor das Verfassungsgericht gezogen. Stein des Anstoßes: die Treuhandrichtlinie (Bohl-Papier), die die Verpachtung volkseigener Flächen regelt und dabei Alteigentümer bevorzugt.

„Die Enteignungen sollten endlich als ein Ergebnis des Krieges akzeptiert werden“, findet Diethard Stadtler (SPD), stellvertretender Landrat in Prenzlau, und verweist auf die Vertriebenen aus Schlesien, die auch allen Besitz verloren und nun mit 4.000 Mark abgespeist werden sollen. Bei der BVVG (Bodenverwertungs- und verwaltungsgesellschaft), zuständige Institution für die Verteilung volkseigener Flächen, zeigt man sich bedeckt.

Heraushalten möchte sich auch Herbert von Arnim, der seit der Wende wieder Gutsherr in Bietikow/Brandenburg mit über 1.000 Hektar Land ist. „Ich habe mir abgewöhnt, Ideen zu haben“, behauptet er resigniert. Mit seiner Adoptivtochter Anke von Arnim Freifrau von Reitzenstein und deren Gemahl Tront Batzlaff hatte sich der Alteigentümer geschickt das Seinige zurückbesorgt, noch bevor es irgendeine Treuhandrichtlinie gab – vorerst allerdings nur zur Pacht. Nach endlosen Querelen mit der in die Liquidation gedrängten LPG vor Ort zählt die Familie zu den meistgehaßten im Dorfe. Bei der Bürgermeisterwahl habe der angetretene Schwiegersohn nicht eine einzige Stimme erhalten – so munkelt man. „Ich fühle mich wie ein Kosovo-Albaner – unerwünscht in jeder Richtung.“ Graf Christoph Schlippenbach möchte allerdings keineswegs den Eindruck erwecken, „daß wir Alteigentümer nur jammern“. Der ausgebildete Landwirt wohnt schon über ein Jahr im Wohnwagen auf seinen angepachteten 350 Hektar in Raakow bei Prenzlau. Mehr hat er „den alten Kadern“ bei der BVVG von seinen 4.000 Hektar Altbesitz bislang nicht abtrotzen können.

Über den neuesten Stand des Entschädigungsgesetzes weiß er noch nicht so recht Bescheid, aber: „Die Bundesregierung will das Diebesgut wahrscheinlich selbst verkaufen, um damit die Wiedervereinigung zu finanzieren.“

Geht es nach dem aktuellen Plan der Bundesregierung, dürfte der verarmte Graf wohl bald Millionär sein. Zur Zeit gibt das Bonner Finanzministerium noch keine Auskunft über die Höhe von Entschädigungen. Man müsse erst noch das Bruttovolumen des Entschädigungsfonds von derzeit 29,4 Milliarden auf die vorgesehenen 18 Milliarden herunterrechnen. Das geschieht über eine Degressionsstaffelung, also Abschlägen in den höheren Bereichen. Es wird wohl auch eine Höchstgrenze geben, die aller Wahrscheinlichkeit nach höher liegt als die bislang vorgesehene von 950.000 Mark. Mit 4.000 Hektar Land (schon der Einheitswert von 1935 für den Hektar liegt über 55 Mark) dürfte Herr Schlippenbach die locker erreichen. Auf die Steuererhöhung im Jahre 2004 darf man sich schon heute freuen.