Im Teufelskreis von Arbeits- und Obdachlosigkeit

■ Allein in Frankfurt am Main leben rund 5.000 Menschen buchstäblich auf der Straße, die Stadtverwaltung jedoch zeigt wenig Neigung zu Sofortmaßnahmen

In der Bankenmetropole Frankfurt am Main und im mittelhessischen Gießen starben seit dem überraschend frühen Kälteeinbruch in Deutschland zwei Menschen nachts „auf Platte“ an Unterkühlung – in Frankfurt Eckbert K. auf dem alten Peterskirchhof in der Stephanstraße. Bundesweit, so Klaus Liesek vom Verein „Lobby für Wohnsitzlose und Arme e.V.“ in Frankfurt, seien in den vergangenen 14 Tagen „mindestens sieben Menschen“ – ganz exakt läßt sich das nicht ermitteln – auf der Straße erfroren. Liesek: „Barbarische Verhältnisse in einem der reichsten Länder der Erde“.

Sie werden als Penner und Stadtstreicher bezeichnet, selbst nennen sie sich Berber. Doch der „echte Berber“ (Liesek), der Clochard als Lebenskünstler mit der Vin-Rouge-Bouteille unterm Arm, friste (fast) nur noch in der Literatur sein bescheidenes „Leben“. Heute treibe die „nackte Armut“ die Menschen auf die Straße, sagt Liesek.

Der rührige Sozialarbeiter und Mitbegründer der „Restaurants“ von „Lobby“, in denen Arme für die Mittagsmahlzeit weniger bezahlen als finanziell bessergestellte MitbürgerInnen, spricht vom „modernen Teufelskreis“: Arbeitslosigkeit führe in immer mehr Fällen zu Obdachlosigkeit. „Und Obdachlose haben keine Chancen mehr, eine Arbeit zu finden.“ Alleine in Frankfurt leben rund 5.000 Menschen buchstäblich auf der Straße. Sie haben sich unter der Friedensbrücke aus Dachpappe und Holzlatten kleine Verschläge gebaut, hausen im „Niemandsland“ zwischen Frankfurt und Offenbach, in „Iglus“ aus Laub und Erde oder machen einfach „Platte“ auf Heizungsschächten oder auf Parkbänken – eingepackt in schmuddeligen Schlafsäcken und „gebettet“ auf Zeitungspapier.

Rund 550 Schlafplätze für die 5.000 Obdachlosen und Nichtseßhaften seien in Frankfurt eingerichtet worden, behauptet die Stadtverwaltung. Doch Liesek kommt bei genauem Nachzählen nur auf 390 Betten. Damit in Frankfurt nicht noch mehr Menschen erfrieren, fordert nicht nur der Verein Lobby die umgehende Öffnung der U- und S-Bahn-Stationen und der sogenannten B- Ebenen am Hauptbahnhof, unter dem Theaterplatz und unter der Hauptwache für die vom Kältetod bedrohten Wohnsitzlosen. Auch die Landtagsabgeordnete der hessischen Grünen, Evelin Schönhut- Keil, klagte bei der Stadtverwaltung „Sofortmaßnahmen“ ein: die Frankfurter Stadtverwaltung sollte sich ein Beispiel an der französischen Hauptstadt Paris nehmen, dort seien die Metrostationen längst zu „Stätten der Zuflucht“ erklärt worden.

Doch im Römer setzen die Verantwortlichen eher auf zusätzliche Notschlafstätten in leerstehenden US-Kasernen und Wohncontainern. Dieses Konzept, so monierten die Frankfurter Grünen, lasse sich aber erst in einigen Wochen umsetzen. „Mindestens eine B-Ebene“ müsse sofort geöffnet werden, forderte in der vergangenen Woche der grüne Stadtverordnete Christian Gasche vom rot-grünen Magistrat. Der jedoch zeigt nach den erfolgreichen Aktionen „Bahnhof als Visitenkarte“ (Bavis) und „Saubere B- Ebenen“ – mit denen im Sommer Junkies und Obdachlose von Polizei und „schwarzen Sheriffs“ aus dem Underground vertrieben wurden – wenig Neigung, die „Schmuddelkinder der Wohlstandsgesellschaft“ wieder ins Blickfeld der Bürgerinnen und Bürger zu rücken. Und außerdem, so die Argumentation der Verantwortlichen im Römer, ziehe ein so „großflächiges Übernachtungsangebot“ Obdachlose aus der ganzen Region nach Frankfurt. Und die kosteten die ohnehin finanziell gebeutelte Kommune immerhin 17 Mark pro Tag und Nase.

Für Evelin Schönhut-Keil von den hessischen Grünen sind vor allem die Frauen von der Unterkunftsmisere am stärksten betroffen. Ganze 50 Schlafplätze für obdachlose Frauen stünden in Frankfurt im sogenannten Burghof zur Verfügung, obgleich gerade der Anteil der Frauen bei den von Obdachlosigkeit Betroffenen „rasant“ wachse. Die Frauen würden so auf der Straße zu „Freiwild“ – „ein unerträglicher Zustand“ (Schönhut-Keil).

Am Tage fahren viele Obdachlose S- oder U-Bahn, um der Kälte zu entkommen. Und wenn nachts der Frost in den Schlafsack kriecht, ist der „Jägermeister“ oft der einzige Freund. Auf offenem Feuer unter der Frankfurter Friedensbrücke kochten sich Karl B. und seine Freunde gestern zum Frühstück serbische Bohnensuppe in der Originaldose, der „Wodka Gorbatschow“ von Aldi machte die Runde. Die Kälte sei „mörderisch“, beteuerte Karl nach einer Nacht im Holzverschlag. Doch wer daran kaputtgehe, wie Eckbert K. neulich auf dem Peterskirchhof, der habe es wenigstens hinter sich: „Amen!“ Klaus-Peter Klingelschmitt,

Frankfurt am Main