Zum Guten muß man sich durchschlagen

■ Fünf Jahre GAFF, ein wahres Fotoforum vor den Toren Bremens – nur die Bremer haben's noch gar nicht bemerkt

„Zum Guten muß man sich durchschlagen“, sagt Gerd Schnakenwinkel. Blitzt da etwa was Spöttelndes zwischen seinen weisen Worten auf? Tatsächlich: nach fünf Jahren als Fotogalerist in Rotenburg, dem „Kaff“, wie er mit liebevoller Selbstironie sagt, nach Jahren also, in denen er nicht selten den Spott der Bremer Kollegen zu spüren bekam: da leistet er sich's, nun einmal „von oben herab“ auf die Zweifler zu schauen. So jedenfalls hat er seine Geburtstagsausstellung betitelt. Mit Bildern aus der Vogelschau, von den Zwanzigern bis heute, Klassiker der Bauhaus-Fotografie und unentdeckte Talente. Die Mischung ist beispielhaft für das Programm in Schnakenwinkels GAFF (Galerie für Fotografie); die GAFF aber scheint nach wie vor beispiellos in ihrer Vermittlung heimischer wie auch überregionaler Fotografie.

Der Blick von oben herab ist Schnakenwinkel ansonsten fremd. Der Realschulkonrektor beackert das Feld der Fotografie eher von Grund auf. „Basisarbeit“, sagt er. Nicht nur für die Rotenburger, sondern für die ganze arme Region. „Gute, qualifizierte Ausstellungsmöglichkeiten für Fotografen sind hier rar“, sagt er. „Man sieht ja jetzt wieder an den Vorgängen im Fotoforum, wie schwierig es selbst in Bremen ist.“ Und in den Kunstgalerien mochte er schon zu Zeiten, als er noch eigenhändig fotografiert hat, nicht ausstellen. Im Kunstbetrieb nämlich träten die „formalen, gestalterischen Aspekte“ des Mediums gar zu sehr in den Vordergrund. Der Hang zu riesenhaft aufgeblasenen, brillant glänzenden Cibachromes und zu den spektakulären Künstlerposen der „inszenierten Fotografie“, wie sie in den 80er Jahren über den Kunstmarkt kamen: „Das war eine Tendenz, die ich nicht gut fand“, sagt Schnakenwinkel. Also GAFF.

In einem Reihenendhaus am Rande der Stadt hat die Fotografie nun ihren Platz gefunden. Selbst die Rotenburger kennen diese Neubaugegend kaum, sagt der Galerist. Keine Außenreklame, bloß ein Klingelschild. So steht der Gast vor der Eingangstür, wie um eine entlegene und ein bißchen in Vergessenheit geratene Verwandte zu besuchen. Drinnen hat eine Fotografie ihre Heimstatt gefunden, die wirklich ein wenig aus dem Brennpunkt des ganz großen Interesses geraten ist. „Autonome Fotografie“, sagt Schnakenwinkel. Er meint keine Moderichtung, keinen Kampfbegriff, auch keinen Neuaufguß des unergiebigen Streits zwischen „dokumentarischer“ und „inzenierter“ Fotografie, sondern etwas Essentielles: Er beharrt schlicht darauf, „daß die Fotografie ihre Herkunft nicht verleugnet“. Daß ein „sachlicher Gehalt“ vermittelt wird, souverän und ohne große Mätzchen. Kurz: Daß der Abbildcharakter erhalten bleibt. Das klingt nicht eben aufsehenerregend. Und genauso ist die GAFF. Kunstfragen müssen leider draußen bleiben; es gibt Wesentlicheres in der Fotografie.

Die „autonome Fotografie“ hat Schnakenwinkel natürlich nicht erfunden. So wird er überall fündig, wo es ein wenig stille ist um die Fotografie. Bei Nachforschungen zu Fotografen der 20er und 30er Jahre stieß er u.a. auf den Hamburger Alfred Ehrhardt. Ein Bauhaus-Student, dessen Landschaftsbilder es Schnakenwinkel angetan hatten. Auf Neuwerk fand er schließlich Spuren des Fotografen. Am Ende stand die erste Retrospektive Ehrhardts mit dem Titel „Urlandschaften“. Eine von vielen Eigenproduktionen der GAFF, die mittlerweile auch von anderen Instituten ausgeliehen werden.

Unverhofft wurde Schnakenwinkel sogar im eigenen Städtchen fündig. Per Zufall fanden sich in einem vergessenen Archiv des Heimatbundes Fotos von Albert Renger-Patzsch. Vor allem Landschaften „aus den wichtigsten ersten Serien“ des Meisters. Und die Rotenburger „wußten gar nicht, was sie da an Schätzen eigentlich hatten“.

Nun ist der Fotograf des „Neuen Sehens“ in Schnakenbergs Jubiläumsschau zu sehen, mit einem schrägen „Blick auf Lübecks Dächer vom Marienturm“. Umgeben von den Ansichten seiner Kollegen: Hans Finsler, André Kertesz, Anton Stankowski... ja, da blickt der Galerist doch recht zufrieden in die Runde. Nur nach Bremen, in die Nachbarschaft, da darf er nicht so genau hinsehen. Denn so gut die Kontakte im Rest der Republik sind: In Bremen rührt sich nichts. Die Zahl der heimischen Fotografen, die sich bisher in die GAFF wagten, beläuft sich auf stolze zwei; Jürgen Sieker und Volker Beinhorn. Das sei vielleicht ein Problem der Bremer Fotoszene, vermutet Schnaklenwinkel. Den weiten Weg zu machen „in so ein Kaff“, um sich dann einer „eher dörflichen Besucherschar“ gegenüberzusehen – das schrecke wohl manchen Fotografen ab.

Zur Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig mit ihrer rührigen Fotoklasse hat Schnakenwinkel dem besten Draht. Deren neue Perspektiven der „autonomen Fotografie“ waren schon in einer Überblicksschau in Rotenburg zu sehen. Die bremische HfK aber hat die GAFF noch gar nicht vor ihrer Haustür entdeckt. Es ist ja auch wirklich unzumutbar weit bis in Schnakenbergs gute Stube. Aber zum Guten muß man sich eben durchschlagen. Thomas Wolff

“Von oben herab“ läuft noch bis 19.12. in der GAFF, Distelweg 6 in Rotenburg; geöffnet sonntags 11- 13 Uhr und dienstags 17-20 Uhr sowie nach Vereinbarung unter 04261/ 8 37 56