1.800 Arbeitsplätze sind nicht zu retten

■ AEG und ABB: Senatsversprechungen unrealistisch / Aufträge kämen zu spät und kollidierten mit EG-Recht

Mit vorgezogenen Aufträgen von Deutscher Reichsbahn (DR) und von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) an die Eisenbahn- Hersteller ABB und AEG, so verkündete vollmundig der Senat, soll der Abbau von 1.800 Arbeitsplätzen verhindert werden. Doch dies werden wohl Worte bleiben. Denn welche Aufträge der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) vorziehen wollen, ist auch zwei Wochen nach deren Ankündigung völlig unklar.

Von Bestellungen in Höhe von 3,3 Milliarden Mark war die Rede gewesen, doch die Reichsbahn, die mit angeblich 2,5 Milliarden Mark den Löwenanteil zu finanzieren hätte, weiß von nichts. Beide deutsche Bahnen, berichtet DR-Sprecherin Claudia Ruttmann, haben bereits Anforderungen für vier Milliarden Mark vorgezogen, die der Industrie die Auftragsbücher bis 1998 füllen. Mehr sei nicht möglich.

Die BVG wiederum könnte statt der angekündigten 800 Millionen Mark nur 300 Millionen Mark lockermachen, sagte BVG-Sprecher Wolfgang Göbel gegenüber der taz. Immerhin ist sich Senatssprecher Michael-Andreas Butz sicher, daß mit der Verabschiedung der Bahnreform „richtig investiert“ werde. Wo von den angekündigten 3,3 Milliarden Mark die bisher fehlenden drei Milliarden Mark herkommen sollen, weiß der Sprecher aber ebenfalls nicht. Auch die Wirtschaftsverwaltung kann den Widerspruch zwischen den Angaben von BVG und Reichsbahn einerseits und Politik andererseits nicht aufklären.

Die Finanzlage bei der BVG – und nur auf diesen Etat hat der Berliner Senat unmittelbar Einfluß – ist sowieso überstrapaziert. Noch kurz vor Ende letzten Jahres wurden Vorausbestellungen mit AEG über 120 Straßenbahnen und mit ABB über 115 U-Bahn-Züge vereinbart. Das Auftragsvolumen geht weit über 2,5 Milliarden Mark hinaus, die Laufzeit reicht bis ins nächste Jahrzehnt. Die Bestellungen von 46 U-Bahn-Zügen im Wert von 740 Millionen Mark und über 60 Straßenbahnen für 420 Millionen Mark sind wasserdicht. Die weiteren Nachbestellungen brauchen nicht europaweit ausgeschrieben werden, da sie bereits im vergangenen Jahr vereinbart wurden.

Mit dem seit diesem Jahr geltenden EG-Wettbewerbsrecht würde die beabsichtigte Vergabe neuer Aufträge an regionale Unternehmen dann auch noch kollidieren. Lieferaufträge müssen nämlich europaweit ausgeschrieben werden, wenn sie im Verkehrsbereich eine Höhe von 400.000 Ecu (etwa 800.000 Mark) überschreiten. Die Bestellungen müßten eben entsprechend „unterteilt“ werden, wenn dadurch Arbeitsplätze gerettet werden könnten, schlägt der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Volker Liepelt, gegenüber der taz vor: „Ich plädiere fast unverholen für die Umgehung der Tatbestände.“ Doch das wird kaum nützen. Das Splitting, erläutert der Sprecher der Berliner EG- Vertretung, Jean-Jacques Nuss, sei leicht zu durchschauen. Versuchten es die Berliner, „bekommen sie Ärger“, droht er und verweist auf mögliche Schadenersatzzahlungen an Konkurrenten.

Aber selbst wenn es weitere Milliardenaufträge gebe und den Zuschlag AEG und ABB erhielten, würde dies kurzfristig keinen Arbeitsplatz retten. Nur die Produktion von Fahrzeugen, nicht aber ihre Entwicklung, sei arbeitsplatzintensiv, warnt Winfried Sauer, Sprecher der AEG-Zentrale in Frankfurt. Die Konstruktion von Waggons dauere mindestens 18 Monate, erst dann könne das erste Stück Metall bearbeitet werden. Das gerade abgeschlossene Geschäft mit China beispielsweise werde vor 1995/96 nicht beschäftigungsrelevant. Bis dahin sind bei AEG und ABB die 1.800 Arbeitsplätze längst weg.

Die Verkehrsbranche befinde sich in einem Umstrukturierungsprozeß, betont der AEG-Sprecher. Diese Entwicklung könnten auch Milliardenaufträge nicht aufhalten. Dirk Wildt