Erneut Bedenkliches

Heute vor 93 Jahren war's, da kratzte ein Pariser Zimmermädchen einen Satz von der Tapete: „Einer von uns mußte gehen.“ Das Vermächtnis des Oscar Wilde ist beinahe so rätselhaft wie das des Kollegen Heinrich Heine; mit dem ging es 44 Jahre zuvor zu Ende, und auch er hinterließ Paris eine böse Sentenz: „Es wird zumindest einen Mann geben, der meinen Tod bedauert.“ Wir lassen hier Heines damalige persönliche Situation außer acht und stellen lediglich fest, daß die heutige Stadt Düsseldorf runde 80.000 deutsche Mark pro Haushaltsjahr zu sparen gedenkt, indem sie ihr Heine-Haus an Wochentagen nur noch auf Anmeldung öffnet.

Nur eine, gewissermaßen marginale „Maßnahme“ der ebenso flächendeckenden wie konzeptlosen „Prima Leben und Sparen“-Politik der Bundesregierung: Dieselbe, gemacht von Menschen wie du und ich, ist aber in ihrem Ausmaße nur zu erklären, führt man sich die stille Wut des Bundesbürgers vor Augen, der unverständliche Performances, überflüssige Klassikerausgaben, perverse Ballettabende und aufwendige Übersetzungen sog. „Weltliteratur“ jahrzehntelang ertrug, obwohl der Autobahnbau, die Ausgestaltung aller Fußgängerzonen mit Betonkübeln und andere Errungenschaften der Moderne die notwendige staatliche Förderung entbehren mußten.

Nun ist es mit den Autobahnen wieder besser geworden, Krause sei Dank, aber dennoch entlädt sich – denn Verdrängung lohnt sich nicht! – allenthalben Bürgersinn mit Macht. Im Zuge der kulturellen Katharsis findet auch öffentliche Selbstkritik statt: so ist nun im Feuilleton der Zeit – bisher nicht ohne Verdienste um die Förderung geförderter deutscher Kultur – eine Wende in der timiden Behandlung solcher Elitärprodukte angekündigt. Der Feuilletonchef outet seine Zunft als eigentlich vernünftige Menschen – „E.T.“- Anhänger, die wider Willen Jean-Marie Straub auslobten und zudem jahrelang mittels Literaturkritik dem beflissenen Publikum unverständliche und öde Neuerscheinungen als Weltliteratur ans Herz legten. Jetzt darf man wieder ehrlich sein, Hollywoodfilme und – warum nicht? – Uta Danella genießen und schließlich einig sein mit jenem Vernissagebesucher, der immer schon fand, das Geschmiere da könnte seine achtjährige Tochter doch auch...

Aber Die Zeit läßt Ausnahmen zu: So hat man dort Musils „Mann ohne Eigenschaften“ (ohne jede Förderung entstanden, aber – Achtung! – schwierig, schwierig...) und Hans Henny Jahnn noch nicht gelesen, insofern „hat die Moderne ihre Schuldigkeit getan“, der zeitgenössische Leser aber noch nicht. Kann also die öffentliche Förderung beispielsweise der Musil- und Heine-Ausgabe eingestellt werden, wenn man in Hamburg die Lektüre beendet hat? Und: Hat der Tapetendichter Oscar Wilde nun Hans Henny Jahnn, Heinrich Heine oder den Zeit- Feuilletonchef gemeint? Und wen meinte Heinrich Heine? ES