„Eine starke dramatische Ader“

■ Ein Gespräch mit Domkantor Wolfgang Helbich über das Werk der österreichischen Komponistin Marianna Martines / Heute Uraufführung im Dom

Zum Abschluß des Festivals „Frauen in der Aufklärung“ bringen Kammerchor und Kammer- Sinfonie Bremen heute abend um 19 Uhr im Dom Werke der österreichischen Komponistin Marianna Martines (1744 - 1812) zur (Ur- )Aufführung. Die musikalische Leitung hat Domkantor und Musikhochschulprofessor Wolfgang Helbich. Die taz sprach mit ihm über das Vergessen und Entdecken unbekannter Musik von Frauen.

taz: Ihnen wurde Marianna Martines von den Organisatorinnen des Festivals zur Aufführung angetragen. Haben Sie die Komponistin zuvor gekannt?

Wolfgang Helbich: Nein, aber das ist völlig normal. Gerade komponierende Frauen sind über lange Zeit einfach verschwiegen worden. Es ist wie überall, die spektakulären, zugkräftigen Namen werden aufgeführt, und die anderen fallen dabei unter den Tisch.

Martines hat die Männerdomäne der großen Komponisten gebrochen. Sie schrieb monumentale Werke: Opernarien, Psalmen für Soli, Chor und Orchester. Hatte sie auch ihren eigenen Stil?

Natürlich ist sie wie alle im Großen und Ganzen schon dem in ihrer Zeit üblichen Stil gefolgt. Ich würde ihre persönliche Art mal als den „frühen Haydn“ charakterisieren. Martines hat darüberhinaus aber eine starke dramatische Ader. Sie hatte den Mut, originelle Einfälle zu bringen und das Übliche mit fast theatralischen Effekten zu verbinden. Sie war Sängerin, und das spüren Sie überall: Man findet schöne Melodien und kantable Führungen.

Was mit stumpfer Ignoranz honoriert wurde.

Wie bei vielen vergessenen Männerkomponisten sind auch Martines' Werke einfach nicht gedruckt worden. Das wird dann in der Aufführung manchmal zum Problem: Es gibt zum Beispiel kein Stimmaterial - Martines hat vielfach in ihre Noten keine Handreichungen eingetragen. Andererseits bedeutet dies aber auch eine ganze Menge an Entdeckerfreude: Man ist gespannt, was das Überraschende, das Neue sein wird.

Spannung auch für das Publikum heute abend im Bremer Dom?

Auf jeden Fall. Ich selbst möchte ja immer wieder anregen, daß unter den Leuten Neugier aufkommt: Was kann denn das Besondere an dieser Musik sein? Man muß sich völlig ohne Vorurteil dem Moment hingeben und sich spontan entscheiden, ob es gefällt oder nicht. So, wie man sich damals im 18. Jahrhundert Mozart zum Beispiel ja auch öffnen mußte.

Marianna Martines folgt Lili Boulanger – werden noch andere, unbekannte demnächst in Bremen zu hören sein?

Lili Boulanger hat ja uns wie dem Publikum einen Riesenspaß gemacht. Martines wird es vielleicht wegen der Ferne des Stils und der Sprache - sie hat italienisch und lateinisch geschrieben - nicht ganz so leicht haben, rüberzukommen. Da sie jedoch sehr deutlich und expressiv schreibt, wird das Konzert wohl ähnlich gute Reaktionen hervorrufen. Dann kann man weitersuchen. Ich bin selbst neugierig darauf.

Fragen: Silvia Plahl