Ist Lust revolutionär?

■ "Frauen in der Aufklärung": Marie-Jo Bonnet, eine lesbische Denkerin, über die Lust zu Zeiten der französischen Revolution

Wie wird man Forscherin in Sachen Lust?

Durch das Experiment.

Und wie verbindet die Historikerin das mit der Revolution?

Ich wollte immer wissen, warum die Revolution den Frauen einen Rückschritt gebracht hat: sozial, politisch, kulturell – und sexuell. Das ist doch eine große feministische Frage. Außerdem ist es mein Interesse an Frauen, die Frauen lieben – und sich nicht verstecken. Ich glaube nämlich, daß in der sexuellen Befreiung eine revolutionäre Chance liegt. Ich will wissen, ob die Liebe zwischen den Frauen die Gesellschaft ändern kann.

Revolution klingt mehr nach blutiger Plackerei als nach Lust und Vergnügen...

Das ist ein Irrtum. Auch große Revolutionäre wie Mirabeau waren Libertins und wurden dafür in die Bastille gesperrt. Das ganze 17. Jahrhundert war geprägt durch eine neue, lustvolle Beziehung zwischen den Geschlechtern. Aber mit der Lust waren viele Probleme verbunden: die Impotenz, die Masturbation oder die Penetration...Man diskutierte Liebe zwischen Frauen. Und viele lebten sie: Francoise Raucourt, eine berühmte Schauspielerin an der Comédie Francaise – oder Sophie Arnould, eine Sängerin. Sowie unzählige Malerinnen – aber viele sprachen nie darüber. Auch von der innigen Beziehung zwischen Königin Marie Antoinette und Madame de Lamballe wissen wir heute. Die Libertinage war eine neue Lebenseinstellung.

Die endete mit der Revolution..

Nach der ersten Phase der großen Hoffnung auf Befreiung für alle Geschlechter folgte die Diktatur der Jakobiner. Das war eine andere Generation von Männern, mit ihnen wurde Lust unanständig.

Warum?

Weil Machtergreifung und Lust nicht zusammenpassen: Die Männer hatten die politische Macht. Und die Lust wurde mit der Aristokratie des Ancien Régime in Verbindung gebracht – mit einer schmutzigen, lasziven Gesellschaft. Die kleinbürgerliche Mentalität der Arbeiter setzte sich durch, die den Wert der Arbeit wurde über den der Lust stellte.

War es am Ende gar keine richtige Revolution?

Na, vielleicht ist eine sexuelle Vorstellung von Lust nicht revolutionär. Revolutionär wäre vielleicht die Idee vom Glück, von „bonheur“.

Was ist der Unterschied?

Lust ist sexuell – und wer die Macht hat, definiert, was er für sein Vergnügen hält. In diesem männlichen Entwurf aber kommen Frauen nicht wirklich vor. Sondern nur eine männerlose Sekte an einem imaginären Ort. Und nur der Lust der Mannes dient. Deshalb haben die Revolutionäre ihren Frauen keine Rechte gegeben: Weil sie ihnen nie wirklich begegnet waren – nicht einmal im Bett. Glück dagegen setzt voraus, daß die Geschlechter sich gegenseitig anerkennen. Es darf nicht ein Geschlecht als universell gehandelt werden. Wir brauchen eine weibliche und eine männliche Repräsentanz.

Zukunftsmusik?

Darüber denke ich nach – denn so gesehen war die Revolution eine Pleite. Man spricht nur von einem neuen Gesellschaftsvertrag – aber nicht von einem neuen Sexuellen Vertrag. Fragen: Eva Rhode

“War die Lust im 18. Jahrhundert revolutionär?“ Heute um 10.30 Uhr imSchauspielhaus (in franz. Sprache)