Der Fernsehkrieg

■ Im Kino war alles anders: arte zeigt in dieser Woche drei Dokumentarfilme zum Vietnamkrieg

Von Stefan Reinecke

Vor mehr als 25 Jahren ging der Vietnamkrieg zu Ende. Wir erinnern uns an einige Ikonographien gewordene Fotos: der Polizeichef von Saigon, der einem Vietcong eine Kugel in den Kopf schießt; ein kleines Mädchen, das über eine Straße fliegt. Noch mehr ist unser Gedächtnis von Kinobildern geprägt. So wie der Vietnamkrieg der erste Krieg war, der vollständig vom Fernsehen repräsentiert wurde, so ist unsere Erinnerung daran, wie kaum zuvor, eine Erinnerung in Bildern.

Wir sehen einen Mann, der sich mühselig in die Badewanne hievt. Seine Beine hängen leblos herum. 1968 wurde er in Vietnam verwundet, seitdem ist er querschnittsgelähmt. Im Kino, sagt er, ist es nie so ausgegangen. Der Mann mit dem geschundenen Leib heißt Ron Kovic und ist vielleicht der berühmteste Vietnam-Veteran. Als patriotischer US-Marine zog er nach „Nam“, dort ermordete er Kinder und Frauen; daheim wandelte er sich zu einem Kriegsgegner, der gleichwohl nicht aufhören konnte, die Marines zu lieben. Kovic veröffentlichte in den Siebzigern seine Biographie: „Geboren am 4. Juli“. „Ich bin euer John Wayne nach Filmschluß“, schrieb er im Vorwort. Zehn Jahre später verfilmte Oliver Stone Kovics Geschichte.

Georg Stefan Troller hat 1977 eine Dokumentation über Ron Kovic gedreht. Im Kino wurde Kovics Biographie zum Beweisstück der These, daß Amerika in einen ungerechten Krieg gezogen war und dort schuldig wurde, um dieser Schuld geläutert zu entsteigen. Trollers Dokumentation liefert retrospektiv Material gegen diese ideologische Überhöhung. Er zeigt das reale, mickrige Elend der Vets, ihren quälenden Alltag. Und auch: den maßlosen Haß, mit dem die USA ihnen begegneten.

Vor 23 Jahren drehte US-Dokumentarist Robert Kramer in Vietnam „People's War“. Seine filmische Rückkehr nach Vietnam 1993 ist ein Road Movie geworden, ein Sammelsurium, ein Puzzle, das manchmal unnötig verrätselt erscheint: wenn Kramer beispielsweise seine Gesprächspartner nicht vorstellt. Die Subjektivierung des Blicks wirkt gelegentlich auch überspannt: etwa wenn Kramer in einem Interview das Gesicht einer politischen Gefangenen im US-Gefängnis wie mit einem Mikroskop abzutasten scheint.

„Ich frage mich, wie sich diejenigen erinnern, die nicht filmen oder fotografieren. Wie schafften es die Menschen früher, sich zu erinnern?“ Dieses Zitat von Chris Marker ist „Vietnam, Ausgangspunkt“ vorangestellt. Kramer vertraut, gegen die Macht des Kinos, dem dokumentarischen Bild auf manchmal kitschige, oft kraftvolle Weise. So sehen wir am Ende des Films ein Foto: ein Mann und eine Frau, ein Abschied. Der Mann fuhr nach Saigon, um 1975 die Befreiung zu filmen. „Ich wußte ja nicht, ob ich zurückkommen würde“, sagt er. „Da haben wir ein Foto gemacht.“

In „Vietnam, Ausgangspunkt“ sieht man immer wieder die Zerstörungen des Krieges, den eisernen Selbstbehauptungswillen derjenigen, die den Krieg erlebt haben, auch die Härte der Arbeit heute. Wir sehen einen alten Mann, der sich an Feuergefechte gegen die US-Air-Force erinnert und der den Mut der US-Piloten bewundert, die sich in das Flak- Feuer hinabstürzten. Und man erfährt auch von der Rebellion der vietnamesischen Jugend, die den heroischen Krieg der Älteren nicht mehr gelten lassen will. Wir sehen Linda Evans, eine politische Gefangene im US-Knast, die sich fragt, ob Antiimperialismus noch ein brauchbares Konzept ist. Aber die Szenen brechen meist zu schnell ab: als wolle Kramer es zu genau auch nicht wissen.

So wirkt auch die bilderbogenhafte Struktur gesucht: wie ein Fluchtpunkt. Kramers Impressionismus, das Flanierende trifft sich zudem mit einem hier und dort aufblitzenden Ton gepflegter Melancholie, auf die sich Linke trefflich verstehen und der einen präziseren, einläßlicheren Blick auf den vietnamesischen Alltag im Weg zu stehen scheint. „Ich erinnere mich“, sagt Kramer einmal aus dem Off, „in Vietnam war noch Krieg. Wir waren in Kalifornien und nannten unser Kind Ho, wie Ho Chi Minh.“ Dann sieht man verwackelte, dunkle Aufnahmen von jener Geburt. Kalifornien und Vietnam – eine Front? Kramer scheint der Beweiskraft der Bilder zu vertrauen: ihrer reinen Evidenz. Solcher Glaube ist, wie man sieht, oft nah am Kitsch gebaut.

„Personenbeschreibung: Ron Kovic“ von Georg Stefan Troller, heute um 20 Uhr. Morgen um 22.05 Uhr: „Vinh's Geschichte“ von Keiki Tsuno, eine – leider recht schlicht geratene – Reportage über den gescheiterten Versuch des Jugendlichen Trinh, in den USA Fuß zu fassen. Trinh ist eines von 100.000 vietamesischen Kindern, die ihre amerikanischen Väter, meist GIs, nicht kennen. „Vietnam, Ausgangspunkt“ von Robert Kramer: Samstag, um 20.40 Uhr.