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Die Landwirtschaft soll ökologisch wachsen

Die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ will ein gesellschaftliches Bündnis gegen die Agrarindustrie – und staatliche Preissubventionen  ■ Aus Altenkirchen Niklaus Hablützel

Ausgerechnet die Bauern mußten jahrelang die Avantgarde der europäischen Einigung spielen. Nun werden sie dafür besonders hart geprügelt. Ihr Einkommen sinkt, und der gute Ruf ist ruiniert. Denn zu lange hat ein undurchdringliches System regulierter Mengen und subventionierter Preise Milliarden an europäischen Steuergeldern verschlungen. Da hilft es wenig, nachzuweisen, daß etwa 80 Prozent des Geldes in die Kassen des Großhandels und internationaler Konzerne floß, die mit Saatgut, Pestiziden und Düngemitteln weltweit ihre grüne Revolution durchgesetzt haben. Der Welthunger ist nicht geringer geworden, und wenn heute die Bauern in den Industrieländern klagen, daß ihnen selbst zuwenig blieb, finden sie kaum noch Verständnis.

„Depression und Resignation“ haben sich breitgemacht, meint Karl-Friedrich Osenberg, Landwirt und Vorstandsmitglied der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL). Zeit zur Besinnung also: Was ist bäuerliche Arbeit und Lebensweise in den Industriegesellschaften noch wert? Fast nichts, scheint es. Grundsatzfragen wie diese gehören zum Programm der Arbeitsgemeinschaft, die den ländlichen Mittelstand vor der Brüsseler Bürokratie und den internationalen Konzernen retten will. Aber wenn sich alljährlich im November etwa hundert alte und junge Bauern und Bäuerinnen in der Akademie der evangelischen Landjugend von Altenkirchen zur Mitgliederversammlung treffen, dann geht es ihnen weniger um wohlklingende Resolutionen. Bodenständige Erfahrung zählt mehr, die AbL ist eine Berufsorganisation. Sie ist 1980 als Dachverband mehrerer regionaler Gruppen entstanden, die sich aus durchaus unterschiedlichen Gründen vom offiziellen Deutschen Bauernverband nicht hinreichend vertreten sahen. Standespolitik nach herkömmlichem Muster schien in die Irre zu führen. Statt dessen proklamierte die Arbeitsgemeinschaft ein „gesellschaftliches Bündnis gegen die Agrarindustrie“.

Das Echo war beträchtlich. Die unabhängige Bauernstimme, das Organ des Vereins, der heute noch etwa 1.200 Mitglieder zählt, erreichte zu den besten Zeiten über 5.000 Abonnenten. Aber die Bauernopposition tritt auf der Stelle, mißtrauisch argwöhnen die einen, sie stehe den Grünen politisch zu nahe, andere bemängeln ein zu schwaches Engagement für den ökologischen Landbau. Die Mitgliederzahl stagniert, die Auflage der Zeitung sinkt.

Für dieses Jahr hatte der Vorstand deswegen zur Programmdebatte in den traditionellen Versammlungsort im Westerwald eingeladen. Eine Podiumsdiskussion über die neuen Bundesländer kam nicht zustande, die Referenten hatten abgesagt – das westdeutsche Übergewicht blieb ungebrochen.

Zum Erfolgserlebnis für die Mitglieder wurde das vergangene Wochenende trotzdem. Der Vorstand hatte ein Papier vorbereitet, das – vorsichtig formuliert – die Revison liebgewordener Positionen ins Auge faßt: Die Bauern sollten die „Subventions-Zwangsjacke“ verlassen, und sich statt dessen „selber um Märkte kümmern“. Eine bemerkenswert konzentrierte Diskussion schloß sich an die Vorlage an. Beschlüsse wurden noch nicht gefaßt, zu früh schien auch dem Vorstand der Schritt zum neuen Selbstverständnis. Er dürfte jedoch kaum zu vermeiden sein. Denn gleich drei Entwicklungen der letzten Jahre haben die Arbeitsgemeinschaft überrollt: Die Reform der europäischen Agrarpolitik, die deutsche Wiedervereinigung und der wachsende Markt für ökologische Nahrungsmittel. Alle drei könnten das Ende des traditionellen Bauernhofes besiegeln, dem die Arbeitsgemeinschaft bisher verpflichtet war.

Schon die gemeinsame Agrarpolitik der EG hat zu einer Konzentration der Landwirtschaft auf hochspezialisierte Großbetriebe geführt, die zuvor in Deutschland unvorstellbar war. Die Reform der bisherigen Subventionspolitik wird zwar die Überschußhalden abbauen, die Kosten jedoch auf die Erzeuger abwälzen. Nur Großbetriebe werden mit den Reformpreisen überleben, die sogenannten „flankierenden Maßnahmen“ können den Einkommensverlust der Kleinen kaum mildern.

Das Höfesterben ist gewollt, Landwirtschaftsminister Borchert sprach in diesem Sommer programmatisch von unvermeidlichen Modernisierungskosten. Der Christdemokrat und gelernte Landwirt mit elterlichem Gut in der ehemaligen DDR hatte die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern im Blick: Die Nachfolger der LPG beginnen den Wettlauf von vorneherin in der europäischen Oberklasse. Ihre Nutzflächen sind in der Regel etwa um das Zehnfache größer als diejenigen der westdeutschen Spitzengruppe.

Und auch die Ökobauern haben die Zeichen der Zeit verstanden. Ihre Interessenorganisation „Bioland“ fragt nicht nach Bauernidealen. Sie vergibt ihr Markensiegel nach Qualitäts- und Anbaukriterien, denen prinzipiell auch Großbetriebe genügen könnten. Noch sind sie die Ausnahme, aber wenn EG- und Bioland-Funktionäre schon mal gemeinsam zur Kontrolle vorfahren, dann schrillen einem Mitglied der Bauernopposition allemal die Alarmglocken. Aus idealistischen Pionieren könnten schon bald spezialisierte Rohstofflieferanten von Ökokonzernen werden, die ihre Waren in solchen Mengen in die heute noch regionalen Marktnischen drücken, daß dort die lukrativen Preise zusammenbrechen. Wieder hätten die Kleinbauern und Gemüsegärtner das Nachsehen.

Die Arbeitsgemeinschaft hat diesen Prozeß bisher nur kritisiert, jetzt möchte sie ihn mitgestalten – aufzuhalten ist er ohnehin nicht. Das Vorstandspapier schlägt gar eine Landwirtschaft vor, die „flächendeckend unter Einhaltung von ökologischen Mindeststandards“ produziert.

„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt einer, der es wissen muß. Sein Sohn will den Hof nicht übernehmen, er selbst mästet Schweine nach den „Neuland“- Regeln für artgerechte Tierhaltung, die BUND und Tierschützer vor fünf Jahren zusammen mit der AbL aufgestellt haben. Die Bauernopposition konnte in diesem Verband bislang noch Größenbeschränkungen durchsetzen. Mehr als 400 Ferkel zum Beispiel darf kein Neuland-Hof in seinen Ställen und auf den vorgeschriebenen Freilaufwiesen halten und mehr als 100 Hektar nicht bewirtschaften.

Aber die Selbstverpflichtung ist umstritten. Denn auch wer nicht wachsen kann, weil er aus guten Gründen nicht will, muß weichen: Die Zwangsregel schreckt heute nicht mehr nur Großagrarier ab, sondern auch Großbauern, die nach besseren Alternativen suchen. Ihnen möchte vor allem Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf den Weg weisen. Der grüne EG-Parlamentarier setzt auf ökologische Kriterien, die bäuerliche Wirtschaft besser definieren könnten als die bisher hochgehaltenen „Bestandsobergrößen“.

Hier jedoch richtet die geschliffene Rhetorik des Abgeordneten nur wenig aus. Die Angst vor dem Identitätsverlust ist groß und findet bestechende Argumente. Kleinheit selbst sei nämlich kein ökologischer Wert, wird bedächtig eingewandt, und es will nicht in den Kopf, daß ein möglicher Profiteur der EG-Reform Bauer bleiben kann. In der Tat fällt es schwer, daran zu glauben. Einer rechnet mit der amtlichen Statistik vor, daß allein während der Dauer der Mitgliederversammlung wieder ein paar Dutzend Betriebe aufgeben mußten – und darunter sind längst nicht mehr nur kleine Krauter. Mit dem Anschluß der ehemaligen DDR ist die gesamte westdeutsche Landwirtschaft ins Mittelmaß zurückgefallen.

Sogar die sogenannten Interventionspreise, mit denen die EG bisher bestimmte Produkte gestützt hat, erscheinen plötzlich unverzichtbar – sie haben immerhin das Bauernsterben gebremst, wenn die Überschüsse allzu groß wurden, lautet das unwillig zugestandene Argument.

Die europäischen Regierungen wollen heute solche Mindestpreisregeln abbauen – ein Grund mehr für die AbL, ihre Bauern nicht gänzlich schutzlos dem Weltmarkt ausliefern. Gatt-Verhandlungen und europäische Exportsubventionen erscheinen ihr nämlich nur als zwei Seiten derselben Medaille: Freihandel und „trügerische Subventionssicherheit“, so der Programmentwurf, drücken den Bauernstand gleichermaßen unter das Existenzminimum. Das AbL- Programm fordert ein System gestaffelter, also administrierter Preise, die auch kleinen und mittleren Höfen das Überleben sichern.

Marktwirtschaftlern allerdings dürften sich bei solchen Ideen die Haare sträuben. Auch die Verfasser des Programmentwurfs lassen keinen Zweifel daran, daß sie das Ziel nur mit massiven Eingriffen des Staates erreichen wollen. Sie schlagen eine Übergangsfrist von zehn Jahren vor. In dieser Zeit hätten die Regierungen jedoch nichts Geringeres als „gerechte Quotenregelungen“ zu garantieren und ihre Landwirtschaften mit „Mindesteinstandspreisen für kontingentierte Agrarimporte“ nach außen abzuriegeln.

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