Neonazis beobachten Bürger

Jugendclubs und Treffpunkte antifaschistischer Gruppen werden ebenso ausgespäht wie Journalisten und Lehrer / Gezielte Aktionen sind geplant  ■ Von A. Maegerle

Die „endgültige Zerschlagung von Anarchos, Rot- Front und Antifa sowie die Ausschaltung aller destruktiven, antideutschen und antinationalistischen Kräfte in Deutschland“ hat sich das derzeit in der rechtsextremen Szene kursierende 40seitige Pamphlet Der Einblick zum Ziel gesetzt. Detailliert sind in dem Magazin, das der taz vorliegt, Adressen und Telefonnummern von Jugendzentren, Infoläden und Privatpersonen sowie eine Fülle von Kfz-Kennzeichen aufgelistet, welche die Autoren des Blattes den „linken Zecken“ zuordnen. Unverhohlen wird zur Gewalt gegen einzelne Personen aufgerufen. Mit dem Magazin Einblick haben die Neonazis eine „Anti-Antifa“-Logistik aufgebaut, die sich, so das Bundesinnenministerium, „zu einem Bindeglied unterschiedlicher neonazistischer und militanter Gruppierungen entwickeln könne“.

Zum Preis von 10 DM erfährt der geneigte Leser neben Privatadressen auch Anschriften des Arbeitsplatzes und andere persönliche Daten der „anzugreifenden Personen“. Über einen Lehrer in Fuldatal verbreitet Einblick neben Privat- und Arbeitsadresse auch, daß sich auf „seinem Auto keine Aufkleber“ befinden. Sein Wohnhaus habe „ein Eckgrundstück an einer freichristlichen Kirche und viel Grün (Sträucher, Hecken am Zaun, Bäume)“, seine Ehefrau sei „dem Aussehen nach urtypische Linke der 68er-Generation“. Als „beispielhaft“ wird die Recherche- Arbeit der „Anti-Antifa-Nord“ herausgestellt, die mit der Veröffentlichung von 40 Privatadressen allein aus der Stadt Aurich und 20 dazugehörigen Kfz-Kennzeichen aufwarten kann.

Im Visier der verschiedenen Anti-Antifa-Gruppen sind auch Mitarbeiter von städtischen Behörden sowie mißliebige Jugendämter, die bisher konsequent gegen rechtsextreme Umtriebe vorgegangen sind. Ihnen und „nicht zuletzt den gleichredenden Inquisitoren der bundesrepublikanischen Denkfabriken, dem Berufsstand der Journalisten,“ sollen ab sofort „unruhige Nächte“ beschert werden.

Die bisherigen, eher spontanen Einzelaktionen gegen mißliebige Personen wie beispielsweise Angriffe auf Journalisten oder ein Mordanschlag auf den Berliner Neonazi-Aussteiger Ingo Hasselbach, sollen zukünftig besser vorbereitet und koordiniert werden. „In enormer Selbstdisziplin“ wollen die Neonazi-Aktivisten künftig „Gegenaktionen planen und letztendlich erfolgreich durchführen“, damit das vorhandene „enorme Gewaltpotential“ nicht mehr länger „nutzlos verschleudert“ werde. Für die Ausforschungsarbeit benötige man jedoch noch „Nachtsichtgeräte, Abhörvorrichtungen, Wanzen und artverwandte technische Überwachungs- und Observationsausrüstungen“. Auch über „die Mitarbeit von ehemaligen Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit“ würde man sich „sehr freuen“.

Schon Mitte der 80er Jahre bemühten sich vereinzelte neonazistische Akteure, Informationen über die linke, antifaschistische Szene zu sammeln und zu veröffentlichen. Seit im August letzten Jahres die Zeitschrift Index, herausgegeben von der Hamburger „Nationalen Liste“ um Christian Worch, eine Schwerpunkt-Ausgabe zum Thema „Anti-Antifa“ auf den Markt brachte, betrachten immer mehr Gruppierungen die Ausforschung von antifaschistischen Zusammenhängen und Personen als wichtigen Bestandteil ihrer Arbeit.

Im gleichen Monat kündigte der „Gau Hessen“ der Kaderorganisation „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ für den September 1992 die erste Ausgabe eines bundesweiten Anti-Antifa-Magazins mit dem Titel Einblick an. Darin wollte man „Drahtzieher der Knüppelhelden und Steinewerfer“ benennen.

Daraus wurde jedoch zunächst nichts. Statt dessen gab das „Nationale Infotelefon“ in Mainz regelmäßig Postfach-Adressen von regional operierenden Anti-Antifa- Gruppen bekannt. Dahinter verbergen sich führende Funktionäre der seit November 1992 verbotenen rechtsextremen Organisationen sowie der „Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP), gegen die ein Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht läuft. Für den Raum sammelt der dortige FAP-Chef Norbert Weidner die Daten über „linke Zecken“, für Mainz macht das Michael Petri, Funktionär der verbotenen „Deutschen Alternative“, für Hamburg Christian Worch.

Mit über einjähriger Verspätung ist jetzt Einblick, das erste zentral gestaltete „Anti-Antifa“- Organ bundesdeutscher Rechtsextremisten, erschienen. Das Magazin mit dem Untertitel „Die nationalistische Widerstandszeitschrift gegen zunehmenden Rot-Front- und Anarchoterror“ versteht sich als „unabhängiges, überparteiliches, antikommunistisches Mitteilungsblatt für alle Deutschen“, die „für den Schicksalskampf des Deutschen Volkes eintreten“. Man will eine „nationale Bürgerwehr“ aufbauen.

Darüber hinaus hofft man, die zerstrittene rechts extreme Szene zu einen. Die Anti-Antifa-Arbeit müsse „geradezu das Bindeglied der Widerstandskraft jeder einzelnen Vereinigung, Partei und Organisation“ sein.

Im Bundesinnenministerium beobachtet man mit Sorge, daß sich die militante rechtsextreme Szene zusehends vernetzt, sondern daß auch neonazistische Kreise auf die „Anti-Antifa“-Kampagne „zunehmend positiv reagieren“. Auch die Jugendorganisation der NPD, die „Jungen Nationaldemokraten“, beteiligt sich inzwischen an der rechten Recherchetätigkeit und kündigt in ihrer Postille Einheit und Kampf die Einrichtung einer eigenen Rubrik Anti-Antifa an.