Am nächsten Sonntag können die Brandenburger zum zweiten Mal seit der Wende ihre lokalen Interessenvertretungen frei bestimmen. Aber wo einst Runde Tische die BürgerInnen zur Politik zogen, haben inzwischen Verdrossenheit und Des- interesse Einzug gehalten. Was fehlt, sind Kommunalwähler und, vielerorts, sogar die Kandidaten. Von Anja Sprogies

Mit der Feuerwehr ins Stadtparlament

Stell dir vor, es ist Wahl, und keiner geht hin. Wenn überhaupt von der brandenburgischen Kommunalwahl am 5. Dezember, dem letzten Urnengang vor dem „Superwahljahr“ 1994, ein Signal erwartet wird, dann das der Politikmüdigkeit. Dreieinhalb Jahre nachdem DDR-Bürger zum ersten Mal ihre lokalen Interessenvertretungen frei bestimmen konnten, ist die demokratische Aufbruchstimmung im Osten Deutschlands gründlich vorbei. Wo einst Runde Tische die Bürger zur Politik hinzogen, haben jetzt Desinteresse und Frust Einzug gehalten.

Im Mai 1990 gaben noch 74,5 Prozent der Brandenburger ihre Stimme ab. Am nächsten Sonntag freut sich der SPD-Landeschef Steffen Reiche bereits, wenn „mehr als 50 Prozent“ zur Wahl gehen. Reiche muß es wissen. Wochenlang tingelte er Abend für Abend übers Land, um für seine Partei Stimmen einzufangen. Oft kamen nicht einmal fünf Bürger zu seinen Veranstaltungen, mitunter gar keine wie kürzlich in Oderberg.

Grund für den großen Frust der Brandenburger ist die hohe Arbeitslosigkeit, die in manchen Orten die 20-Prozent-Marke deutlich übersteigt. Zum anderen sorgte auch die Verschlechterung der kommunalen Infrastruktur nach der Wende für Verärgerung. In vielen Dörfern gibt es keinen Supermarkt mehr und keine Arztpraxis. So manchem ist in den vergangenen Jahren zudem der letzte Rest Vertrauen in die Politiker verlorengegangen. Viele der 1990 zufällig nach oben geschwemmten lokalen Größen haben sich als überfordert und korruptionsanfällig erwiesen. Stasi-Vorwürfe und innerparteiliche Intrigen waren meist Auslöser für die zahlreichen politischen Skandale und Rücktritte. Oft rückten Profis aus dem Westen nach, die zwar Ruhe in die Verwaltung brachten, aber von den Leuten nicht akzeptiert werden.

Die Lustlosigkeit der Bürgerinnen und Bürger hat auch etwas mit dem Anlaß dieser vorzeitigen Wahl zu tun: der Kommunalreform. Aus ehemals 38 Landkreisen werden am Wahltag 14 Großkreise, von denen die meisten flächenmäßig an das Saarland heranreichen. Das brandenburgische Verfassungsgericht wies in dieser Frage noch in der Nacht zu Mittwoch einen Eilantrag der Kreise Eisenhüttenstadt und Guben zurück, die eine Aussetzung des Urnengangs beantragt hatten, um die Neugliederung der Landkreise zu verhindern. Für die Menschen bedeutet die Kommunalreform weite Wege zum nächsten Amt, für die Angestellten der Verwaltung demnächst Massenentlassungen und für die Politiker einen vorgezogenen Kampf um die eigene Existenz.

Anders als bei den Landratsposten ist die Kandidatenlage bei den ehrenamtlichen Bürgermeistern. In 350 der 1.700 Gemeinden hat sich bis heute niemand gefunden, der Bürgermeister werden will. Die Gemeindechefs werden am 5. Dezember zum ersten Mal in direkter Wahl bestimmt. Wo solche Direktkandidaten fehlen, muß die Gemeindevertretung später den Bürgermeister aus ihrer Mitte wählen. In 24 Dörfern wird allerdings auch das nicht gelingen, denn dort fällt die Kommunalwahl ganz aus. In der Uckermark, im Kreis Oder-Spree und im Spreewald haben sich in mehreren Orten nicht genügend Kandidaten gefunden. Die SPD konnte von ihren 6.600 Mitgliedern rund die Hälfte zur Kandidatur mobilisieren. Trotzdem hat die Regierungspartei noch 15 Prozent Parteilose in ihr Aufgebot nehmen müssen, nur um wenigstens in jeder dritten Kommune des Landes präsent zu sein. So unterstützt die SPD in Frankfurt/ Oder den parteilosen Amtsinhaber Wolfgang Pohl, der einst beim Bündnis 90 wirkte. Ähnlich ist die Situation auch bei der CDU. Die PDS hat noch die beste Mitgliederstruktur, doch auch sie muß weiße Flecken auf der Landkarte verzeichnen. Im einem Ort wurde kurzerhand die Freiwillige Feuerwehr für die Gemeindevertretung aufgestellt.

Stell dir vor, es ist Wahl, und keiner kandidiert. Das ist die zweite Botschaft, die von der brandenburgischen Wahl ausgeht. Ein Grund hierfür ist, daß sich in den vergangenen dreieinhalb Jahren die demokratischen Strukturen außerhalb der Städte eher zurückentwickelt haben. Vereine, Verbände und lokale Interessengruppen, die in westdeutschen Kleinstädten das politische Leben mitbestimmen, fehlen noch immer. Zudem sorgt die stark monopolisierte, zahme Regionalpresse auch nicht gerade dafür, daß die Politik spannender wird. Politische Trends sind unter solch widrigen Umständen schwer auszumachen. Am wahrscheinlichsten ist noch, daß die neue „Ostalgie“, so Pfarrer Friedrich Schorlemmer, kräftig zu Buche schlagen wird: die Rückbesinnung auf alte DDR- Werte. Und davon dürfte die PDS am deutlichsten profitieren.

Nach einer Infas-Umfrage würde die SPD mit 33 Prozent als stärkste Partei (1990: 27,7 Prozent) aus der Kommunalwahl hervorgehen. Deutlich abgeschlagen läge laut Infas die CDU bei nur neun Prozent (1990: 24,2 Prozent), gefolgt von Bündnis 90/Die Grünen mit sechs Prozent und FDP mit drei Prozent. Eine Fünfprozent- hürde ist im brandenburgischen Wahlgesetz für die Kommunalwahl nicht vorgesehen.

Die „Republikaner“ treten lediglich in Eisenhüttenstadt mit zwei und in Templin mit vier Kandidaten an. Die rechtsradikale Deutsche Liga für Volk und Heimat stellt im Cottbuser Wahlkreis Sachsendorf zwei Bewerber für die Stadtverordnetenversammlung.

Das interessanteste Duell liefern sich SPD und PDS am Sonntag wohl um den Oberbürgermeisterposten in Potsdam. Der PDS- Kandidat Rolf Kutzmutz bekennt sich zwar offen zu seiner Vergangenheit im DDR-Staat, samt IM und Grenztruppen, doch scheint das niemanden zu stören. Als kürzlich das ZDF-Magazin „Frontal“ empört über Kutzmutz berichtete und die Bürger auf der Straße fragte, was sie von einem kommunistischen Bürgermeister hielten, sagten die meisten ungerührt in die Kamera: „Warum nicht?“

Die SPD hat in Potsdam als Galionsfigur einen Mann zu bieten, der ein Gesicht macht und eine Stimmung verbreitet, als sei sein Name sein eigentliches Programm: den bisherigen Oberbürgermeister Horst Gramlich. Von der aufwendigen Pots-Tausend-Geburtstagsfeier, deren Funke angesichts der Alltagssorgen der Menschen nicht so richtig übergesprungen ist, dürfte Gramlich kaum profitieren. Trotzdem wird die SPD landesweit ordentlich zulegen. Denn auch sie gilt als Ostpartei. Dafür sorgen die beiden beliebten Zugpferde Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt. Die Sozialdemokraten geben als Wahlziel sogar den Gewinn aller 14 Großkreise und der vier kreisfreien Städte an. Für sie wird die Wahl vor allem darüber Aufschluß geben, ob sie im nächsten Jahr, wenn der Landtag neu bestimmt wird, die absolute Mehrheit erreichen können.

Zumindest im Süden Brandenburgs dürften die Trauben für die SPD allerdings zu hoch hängen. In Cottbus steht die CDU mit ihrem Oberbürgermeisterkandidaten Waldemar Kleinschmidt nicht schlecht da. Allerdings haben sich die Christdemokraten auf Landesebene durch interne Querelen ziemlich heruntergewirtschaftet. Drei CDU-Landesvorsitzende in drei Jahren, das ist einsamer Rekord und wird von den Wählern wohl nicht honoriert werden. In Cottbus könnte daher der Verdruß über die Volksvertreter noch am ehesten zugunsten der rechten Deutschen Liga umschlagen. Und hier steht mit dem ehemaligen Chef der verbotenen „Deutschen Alternative“, Frank Hübner, sogar offiziell ein Neonazi als Direktbewerber um den Oberbürgermeisterposten auf der Liste. Immerhin fand Hübner in Cottbus 100 Leute, die mit ihrer Unterschrift offen seine Kandidatur ermöglichten. In den Wahlkabinen am kommenden Sonntag werden wohl noch einige mehr ihr Kreuzchen neben Hübners Namen machen.