Noch ein Kandidat auf Abruf

■ In Sachsen-Anhalt will sich CDU-Bergner von einer Koalition wählen lassen, die es nicht mehr gibt

Magdeburg (taz) – Augen zu und durch! Obwohl sein Koalitionspartner FDP nicht mitspielt, will sich der bisherige CDU-Fraktionschef im Magdeburger Landtag, Christoph Bergner, heute zum neuen Ministerpräsidenten wählen lassen. Der Mann will es wissen – auch wenn der Landesvorstand der FDP sich am Dienstag abend für Neuwahlen ausgesprochen hat. FDP-Fraktionsvorsitzender Hans- Herbert Haase kündigte gestern sogar an, selbst im Falle einer Wahl Bergners werde sich kein FDP-Abgeordneter an der Neubildung eines Kabinetts beteiligen. Allerdings, so ließ der Landesvorstand gestern gegenüber der taz verlauten, schließe man nicht aus, eine CDU-Minderheitsregierung künftig zu unterstützen. Für seinen Plan, sich mit Hilfe von acht fraktionslosen Abgeordneten und mindestens zwei Abweichlern aus der 13köpfigen FDP-Fraktion, im Dunkel der geheimen Abstimmung, wählen zu lassen, hat Bergner vor allem einen höheren Auftrag: von Bundeskanzler Kohl, der eine Lawine im „Superwahljahr“ ins Rollen kommen sieht, sollte die CDU in Sachsen-Anhalt bei vorgezogenen Neuwahlen an der 20-Prozent- Marke landen.

„Neuwahlen wären die denkbar schlechteste Lösung“, wiederholt Bergner daher unermüdlich. Kaum mehr als elf Prozent der Wähler wollen schließlich nach einer Wickert-Umfrage vom Dienstag der CDU ihre Stimme geben, und auf die 32 Prozent „Unentschiedenen“ möchte die Union offenbar nicht bauen.

Von ihrem forschen Ruf nach einem möglichst schnellen politischen Neuanfang rückte gestern auch die SPD im Magdeburger Landtag vorübergehend ab. SPD-Oppositionsführer Reinhard Höppner forderte erst mal die Verschiebung der für heute angesetzten Landtagssitzung. Er wolle vor weitergehenden politischen Schritten zunächst noch den Landeshaushalt 1994 unter Dach und Fach bringen. Nach dem SPD-Szenario für Neuwahlen würde der Landtag dann erst Anfang Januar über seine Selbstauflösung entscheiden. Bis zu den Neuwahlen sei dann für die abschließende Haushaltsabstimmung ausreichend Zeit, glaubt die SPD. Aber Bergner will dieses Spiel nicht mitmachen. Er tritt heute an und hofft, trotz der FDP- Entscheidung für Neuwahlen genügend Stimmen zu bekommen. Schließlich hatten im FDP-Landesvorstand fünf Abgeordnete gegen die Forderung nach Neuwahlen gestimmt. Allerdings kalkuliert Bergner auch schon die Niederlage ein: „Wenn am Donnerstag kein neuer Ministerpräsident gewählt wird, dann wären Neuwahlen wohl tatsächlich unumgänglich.“ Eberhard Löblich

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