Shakespeare aus Notwehr

Sind die Kids etwa doch allright? Eine außergewöhnliche Romeo und Julia-Version, die am Mittwoch im Rahmen des „Theaters der Zuschauer“ im TiK gezeigt wurde, vermittelt den Eindruck, sie seien es. Zumindest die Kids aus Krakau/Nowa Huta, Polen.

Jerzy Fedorowicz, der Leiter des dortigen Theaters, hatte vor zwei Jahren verfeindete Jugendgangs eingeladen, unter seiner Anleitung Shakespeares Stück einzuüben. Es war ein Akt der Notwehr. Dem Theater drohte das Publikum fernzubleiben, da es zunehmend von Skinheads belästigt wurde. Doch es wurde mehr draus. Nicht nur, daß sich die Gangs an die Forderung hielten, im Gegenzug auf dem Theatervorplatz die Randale zu unterlassen. Auch die Inszenierung selbst erwies sich als unerwarteter Erfolg.

Niemand wird von 16- bis 20jährigen polnischen Punks und Skins schauspielerische Glanzleistungen erwarten. Über die bloße Zurschaustellung einer jugendtherapeutischen Maßnahme ging die Aufführung jedoch weit hinaus. Was die Kids auf der äußerst karg ausgestatteten Bühne vollführten, wirkte fast schon zu routiniert und abgeklärt. Nur in wenigen Momenten kam jugendliche Spielfreude und Unbekümmertheit auf. Aber gerade der Ernst, der da von jungen Menschen an den Tag gelegt wurde, die sonst nur als Objekte staatlicher Fürsorge und sozialer Kontrolle gehandelt werden, berührte. Zeigte er doch, in welch hohem Maße sie die Geschichte von „Romeo und Julia“ als ihre eigene Sache empfinden.

Fedorowicz muß viel diskutiert haben. Spürbar war, daß die Kids keineswegs nur die Auseinandersetzungen zweier verfeindeter Fürstenhäuser und das Märchen ihrer Versöhnung nachspielten. Vielmehr reflektierten sie zugleich ihre eigene Situation.

Das Stück hat Fedorowicz auf eine 45minütige, allein auf den Plot setzende Version abgemagert. Die einzelnen Szenen hat er in schlichten, trotz der fremden Sprache leicht verständlichen Tableaus aufgebaut. Im übrigen ließ er den Jugendlichen freie Hand. So spielen sie im Alltags-Outfit, und auch die Musik haben sie selbst ausgewählt. So erklingen nach dem Kuß der Protagonisten keine Geigen, sondern Punkgitarren.

Mit diesen einfachen Mitteln hat Fedorowicz dazu beigetragen, daß sich rivalisierende Jugendcliquen in ihrer jeweiligen Verschiedenheit anzuerkennen lernen. Das klingt fast zu schön. Aber manchmal werden Märchen eben wahr.

Dirk Knipphals