Aus der Küche direkt in die Manege

■ Erstmalig in Berlin zu sehen: Die „Chinese Golden Dragon Acrobats“

Einst waren es chinesische Bauernfamilien, die sich während der langen Wintermonate mit Akrobatik und Zauberei die kalte Zeit vertrieben. Alles, was im Haushalt nicht niet- und nagelfest war – Tische, Stühle, Teller, Tassen und, nicht zu vergessen, die berühmten chinesischen Vasen – diente ihnen als artistisches Werkzeug. Heute sind aus diesen dilettierenden Bauern-Truppen professionelle Akrobaten geworden. Knochenharte Ausbildung am chinesischen Nationalinstitut für Akrobatik sorgt für einen erstklassigen Truppenbestand. An der Spitze der chinesischen Akrobatenszene steht derzeit das 19köpfige Team der „Chinese Golden Dragon Acrobats“, das mittlerweile schon durch die ganze Welt bis an den letzten Zipfel der Karibik tourte und jetzt erstmals in Berlin gastiert.

Der Einstieg der Chinesen ins internationale Business setzt auf die Exotik der Tradition: kein Las- Vegas-Glamour, sondern kunstvoll gefertigte Seidengewänder mit traditionsreichen Handstickereien. Jongliert wird wie einst, nicht mit Keulen, sondern mit Keramik. Jongliert wird auch nicht mit den Händen, sondern mit den Füßen: Eine auf dem Rücken liegende junge Artistin läßt auf ihren Füßen zunächst riesige Vasen tanzen, dann gar einen schweren Küchentisch dort hüpfen und sich blitzschnell im Kreise drehen.

Die Herkunft des chinesischen Zirkus aus dem bäuerlichen Haushalt erklärt wohl auch, weshalb die Chinesen eine ganz besondere Spezialität zur Perfektion getrieben haben: Es ist das berühmte Drehen von Tellern auf dünnen langen Stäben, das hiesigen Jongleuren nur selten gelingt.

Ihren Trumpf spielt die Truppe freilich aus, als ein junger Akrobat auf vier Champagnerflaschen sechs Stühle übereinandertürmt und auf der Spitze des Turms auch noch diverse Handstände präsentiert.

Einer fehlt immer im chinesischen Zirkus: der Clown. Der ist eine rein europäische Erfindung, den Chinesen ist dieser Pappnasen-Held gänzlich fremd. An seiner Stelle haben sie eine urkomische double-comedy, in der ein eitler Hausherr seinen zwei tölpelhaften Hausburschen auf den Leim geht. Ungeschickt wie die beiden sind, ist ihnen beim Saubermachen der Spiegel zersplittert, in dem der Hausherr sich zu frisieren pflegt. Pantomimisch perfekt doubliert einer von ihnen auf der anderen Seite des leeren Gestells das Gefuchtel des leicht trunkenen Herrn, der erst ganz am Ende das Spiel seiner bösen Buben durchschaut.

Den englisch parlierenden Conférencier verstehen die Kinder zwar nicht, aber die Chinesen haben eine geschickte Lösung für ihre Sprachnot gefunden: Die einzelnen Szenen werden zusätzlich durch klamaukhafte, pantomimische Einlagen miteinander verknüpft, und das gefällt den Kleinen sowieso am besten. Die Show ist rasant und witzig. Alte chinesische Instrumentalmusik, vermischt mit amerikanischem Disco-Pop, sorgt über zwei Stunden hinweg für gute Stimmung. Für das Publikum, ob groß oder klein, dürften die Akrobaten derzeit wohl Chinas originellster Exportschlager sein. Andrea Kern

Noch heute und am Sonntag, 16.30 und 20 Uhr im Tränenpalast, Bahnhof Friedrichstraße, Mitte.