Durchs Dröhnland: In der Rakete zum Mars
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Dies ist die Woche der großen alten Männer. Der erste Vorhang geht auf für Herman Brood, auf daß er wieder einmal wie ein Salonlöwe über die Bühne schiebt – so pomadig, daß es eigentlich nicht mehr Rock 'n' Roll sein kann. Und heute vielleicht gerade darum ist. Eines der letzten, noch lebenden Rock-'n'-Roll-Animals, seit Dekaden unterwegs mit durchschnittlich 300 Auftritten pro Jahr. Nicht umsonst hieß eine Live-LP „Bühnensucht“. Diese Sucht galt immer den Klassikern, kurz und trocken manifestiert auf der Platte „Hooks“, wo er und seine Wild Romance von „Will You Still Love Me Tomorrow?“ bis „Little Sister“ die Juwelen der frühen Jahre noch einmal glänzen ließen.
Brood ist so hart, wie es sein muß, und so sentimental, wie man sein kann, aber vor allem von einer unglaublichen Bühnenpräsenz. Und wie jedes Jahr wieder in der Vorweihnachtszeit spielt er lieber mehrfach hintereinander in demselben kleinen Club als einmal in einer großen Halle.
3.–6.12. um 22 Uhr im Quasimodo, Kantstr. 12a, Charlottenburg
Wollen wir uns mal besser nicht an einer Diskussion beteiligen, die an nicht deckungsgleichen sozialen und sprachlichen Problemen leidet. Body Count sind einfach eine recht gute Metal-Band. Und Sätze von Ice-T wie „Here come them fuckin' niggas with their fancy cars“ kann man in einem Ghetto-Zusammenhang, den sich unsereiner sowieso nicht recht vorstellen kann, auch als Förderung des schwarzen Selbstbewußtseins sehen. Body Count sind auf jeden Fall ein überzeugender und dramatischer Einbruch in die weiße Domäne Heavy Metal und mithin zumindest ein genialer Schachzug von Ice-T.
Am 3.12. um 20 Uhr im Blauhaus Potsdam, Heinrich-Mann- Allee 103
Ich habe mir nie so recht erklären können, warum stramm punkrockhörende Menschen aus meinem Bekanntenkreis, die Grateful Dead oder Amon Düül am liebsten höchstpersönlich in die Rakete zum Mars gesetzt hätten, trotzdem nie etwas auf Hawkwind kommen ließen. Es konnte doch nicht nur daran liegen, daß ein gewisser Lemmy Kilmister mal als Roadie für die Londoner Musikkommune gearbeitet hatte, 1974 kurzzeitig als Bassist einsprang und nach seiner Entlassung Motörhead gründete. Komischerweise überschnitt sich dieser Personenkreis nicht einmal ein klein bißchen mit den eisenharten „Raumpatrouille“-Anhängern. Was mich wiederum schließen ließ, daß die Hawkwind-Fans das atmosphärische Weltenraum- Geblubber, das ihnen nun schon seit 24 Jahren (mit Unterbrechungen durch zwischenzeitliche Auflösungen) geboten wird, tatsächlich ernst nehmen. Und die enttäuschen Hawkwind auch auf ihrer neuesten LP mit dem recht hübschen Titel „It Is The Business Of The Future To Be Dangerous“ nicht.
Am 4.12. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Alter Mann, Part 2. Der Gun Club gehörte ohne Zweifel zu den vier, fünf wichtigen US-amerikanischen Bands der 80er Jahre. Kaum eine andere war bedeutender für die Wiedereinführung traditioneller Musiken in den Underground-Zusammenhang. Mit „Fire of Love“ wurde Blues den 80ern wiedergegeben, „Miami“ ließ Country zum Cow-Punk mutieren, und „Las Vegas Story“ schließlich hauchte Mainstream- Rock den Geist des Punk ein. Damit hatte Jeffrey Lee Pierce sein Lebenswerk vollbracht und konnte sich fortan seinen Leidenschaften widmen: Drogen, Alkohol und dem Blues. Das Auf und Ab der folgenden LPs verlief kongruent zum Zustand seines Körpers. Wenn er sich gerade wieder erholt zu haben schien, gab es einen neuen Rückfall. Doch in den letzten Jahren durchforschte ein sichtlich ruhigerer, aber auch gealterter Pierce im Mao-Tse-tung- Styling seine – angeblich phänomenale – Sammlung alter Blues- Platten. Zwischen kontemplativer Nabelschau und dem alten Feuer seiner sich immer wieder fast überschlagenden Stimme entstehen aber immer noch großartige Songs. Eben wie es alten Männern gebührt.
Am 5.12. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Irgendwie ist der Ami-Lärm- Rock auch nicht mehr das, was er mal war. Alice Donut machen plötzlich Platten, die man ohne Kotztüte im Schoß durchhören kann, und selbst The Jesus Lizard sind auf ihrer neuesten Maxi „Lash“ halbwegs konsumierbar. Früher einmal sorgte der notorische Steve Albini als Produzent dafür, daß Sänger David Yow seinen Kopf zum Singen buchstäblich in einen Mülleimer stecken mußte. Ansonsten fisselte und fusselte die Musik der Chicagoer, wußte nicht recht wohin, aber das mit aller Entschiedenheit, und war mit chaotisch noch nett umschrieben. Doch auf „Lash“ ist zumindest der erste Song „Glamorous“ ein richtiges Stück Rock. Allerdings anzunehmen, daß hinter dieser zumindest angedeuteten Kehrtwendung wieder mal nur ein Versuch steht, das Publikum genüßlich in die Irre zu führen. Denn inzwischen wissen wir ja, daß all die Geschichten vom durchgeknallten David Yow nur von Albini erfunden worden waren, um den Marktwert zu steigern. Kann man nur hoffen, daß Yow immer noch so gesund ist wie letztes Jahr und daß sie diesmal vielleicht ihre Coverversion von Trios „Sunday You Need Love“ rechtzeitig geübt haben und auch hier zu spielen wagen.
Am 6.12. um 20.30 Uhr im Loft
Das zuckende Vakuum. Hübscher Name, paßt aber nicht recht. Eher Die getragene Volldröhnung. Die Sängerin schwelgt im breiten Vibrato, die Gitarre bratzt vollmundig, und jeder verfügbare Raum ist vollgefüllt mit Tönen. Zieht man die miese Tonqualität des Demo-Tapes ab, ist das Berliner Trio ein dankbares Opfer von New-Wave-Revival-Gelüsten, auch wenn sie die prinzipiell düstere Grundstimmung des öfteren mit einer Portion Schwermetall dämpfen.
Mit den Evil Puppets am 8.12. um 21 Uhr im Wasserturm, Kopischstr. 7, Kreuzberg
Wie doof muß Pop sein, um noch Pop zu bleiben? Oder ist intelligenter Pop gar kein Problem? Wie viele andere Fragen scheitert auch diese an Unzulänglichkeiten der Definition, denn es gibt Pop im musikalischen Sinne, und andererseits kann Pop auch an seinem Verkaufspotential gemessen werden. Folgt man dem zweiten, waren zum Beispiel Prefab Sprout eigentlich kein Pop. Crowded House aber haben beides geschafft. Von ihrem letzten Album verkauften die Australier über eine Million, da wagten sie auf dem neuesten Werk gar einige sehr vorsichtige Ausflüge in rockigere Gefilde. Beherrschend bleibt aber weiter ihr Erfolgsrezept aus freundlichen Melodien, dezent weinerlichen Tönen und eloquenten Texten.
Am 8.12. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt
Thomas Winkler
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