Folgenlose Worte für kriselnden Senat

■ Abgeordnetenhaus berät Haushaltsentwurf für 1994 / Landowsky ist „kotzübel“, Staffelt macht PR für die Wirtschaft

Um 70 Millionen Mark liegt der Landeshaushalt 94, der gestern im Abgeordnetenhaus abschließend beraten wurde, unter den Eckdaten, die der Senat im Sommer vorgegeben hatte. Eine gemessen am Gesamtvolumen von 43,6 Milliarden Mark verschwindend geringe Summe. Für Berlins Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) handelt es sich um einen „Haushalt der Wahrheit“. Doch so vernachlässigbar die Änderungen des Parlaments an dem Regierungsentwurf waren, so folgenlos werden die Redebeiträge der Fraktionen für die weitere Senatspolitik sein.

Dabei befindet sich die Große Koalition in einer Krisensituation. Der von ihr beschlossene Haushalt weist eine Rekordverschuldung aus, die nach den Worten des Präsidenten des Landesrechnungshofs, Horst Grysczyk, verfassungswidrig ist. Die Wirtschaft steckt nicht nur in einer konjunkturellen, sondern auch in einer strukturellen Krise. Die Zahl der Arbeitslosen in der Stadt hat die Rekordhöhe von über 200.000 erreicht, weitere 400.000 Berliner sind auf staatliche Beihilfen angewiesen. In der Koalitionsspitze grassiert die Angst, daß sich Bonn noch im Januar auf ein stillschweigendes Aussitzen des Regierungs- und Parlamentsumzuges verständigt.

Dies bedingte keineswegs, daß in der gestrigen Debatte von seiten der Koalition ein einheitliches Handlungskonzept vorgelegt wurde. So wurde dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky „kotzübel, wenn ich erlebe, was sich in Bonn vollzieht“. Er forderte von den SPD-Politikern Johannes Rau und Rudolf Scharping aus „nationaler Verantwortung“ ein klares Votum für Berlin. Hingegen forderte der SPD-Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt beim Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen einen „offensiven Umgang mit der Umzugsfrage“ ein. Während Landowsky in wesentlichen Teilen eine Rede wiederholte, die er bereits vor dem CDU-Parteitag im November gehalten hatte, die positive Entwicklung der letzten drei Jahre betonte und maßvoll einzelne SPD-Senatsmitglieder attackierte, war Staffelt bemüht, sich als Mann der Wirtschaft zu profilieren. So plädierte er für eine Flexibilisierung der Grundstückspolitik, eine Förderung der Film- und Medienwirtschaft und eine Änderung der deutschen Gen-Gesetzgebung, um Schering in Berlin zu halten.

Daraufhin diagnostizierte der Bündnis 90/Grüne-Abgeordnete Arnold Krause, daß sich die SPD deutlich auf die CDU zubewege. Dem Senat falle nur ein, alte Wirtschaftsprogramme aufzustocken. Statt dessen brauche Berlin Innovationen und eine „Konzentration der Kräfte“. Was diese auf wirtschaftspolitischem Felde bewirken sollen, vermochte Krause nicht zu benennen.

Allerdings machte er einen arbeitsmarktpolitischen Vorschlag, der auch von Staffelt aufgegriffen wurde. Durch einen „Beschäftigungspakt“ im öffentlichen Dienst solle eine radikale Reduzierung der Arbeitszeit angestrebt werden. Eine Viertagewoche, befand auch Staffelt, könne in den öffentlichen Dienst ein Stück mehr Bewegung bringen. Der die Tarifverhandlungen führende Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) hat bereits seine Ablehnung dieser Überlegungen bekundet. Dieter Rulff

Siehe auch Seite 22