Drei oder vier Arten, Musik zu machen

■ Stadt, Land, Blues mit Taj Mahal: ein Gespräch über schwarze Musik heute und den Rassismus im Popgeschäft

Platten von Taj Mahal findet man im Laden meist unter „Blues“ – was korrekt ist, aber ein denkbar grobes Label. Zwar hat der 1942 als Henry Saint Clair Fredericks geborene Musiker noch die alten Stile des Südens (Balladen, Fieldhollers, Worksongs) studiert – bei Legenden wie Mississippi John Hurt, Sleepy John Estes und Lightnin' Hopkins –, doch er hat ebenso Jazz, Boogie Woogie, Rhythm & Blues, Soul, Reggae und sogar Rap im Repertoire. Es muß etwas mit dem Gegensatz von Stadt und Land in seiner Biographie zu tun zu haben – und dem Versuch, beides doch wieder zusammenzubringen. Taj Mahal wurde im New Yorker Stadtteil Harlem geboren, wuchs aber im ländlichen Massachussetts auf, wo seine Eltern hinzogen, als sie das Metropolenleben satt hatten. Seine Mutter, eine Lehrerin aus South Carolina, die sonntags in der Kirche Gospellieder sang, brachte ihm die religiöse und klassische Musik nahe, während sein Vater, ein Jazzmusiker aus Jamaika, für die karibischen, latein- und mittelamerikanischen Musikeinflüsse sorgte. Mahals erstes Instrument war das Klavier, das er mit sechs Jahren zu spielen begann. Dazu kam im Laufe der Zeit ein knappes Dutzend weiterer Instrumente, die er alle im Selbstverfahren erlernte. 1965 gründete er mit Ry Cooder die Gruppe „The Rising Sons“. 1967 erschien sein erstes Album unter eigenem Namen, dem bis heute über 20 weitere Produktionen folgten, darunter so spektakuläre wie eine Aufnahme zusammen mit Miles Davis und John Lee Hooker. Seine neueste CD „Dancing the Blues“ erscheint dieser Tage bei BMG/Ariola.

taz: Sie haben einmal über Ihr Selbstverständnis gesagt: „In erster Linie bin ich Afrikaner, in zweiter ein schwarzer Jamaikaner, erst in dritter ein schwarzer Amerikaner.“

Taj Mahal: Das Wissen, daß Afrika mein Herkunftsland ist, war nicht etwas, was ich langsam herausgefunden habe, ich wurde in diesem Bewußtsein großgezogen. Meine Eltern dachten so, und meine Geschwister reden darüber in genau derselben Art und Weise. Dazu kommt eben, daß meine Großeltern väterlicherseits aus der Karibik stammen.

Warum war die Suche nach den Wurzeln so wichtig für die kulturelle Identitätsfindung?

Ich wuchs nun mal in einer sozialen Situation auf, wo Schwarze als beschränkt und ungehobelt galten, als dämliche Wilde. Jede neue Generation von Schwarzen versuchte Zutritt zur weißen Gesellschaft dadurch zu erlangen, daß sie die Weißen nachahmten. Doch letztlich nützte das alles nichts. Man wurde weiterhin nach der Hautfarbe taxiert: schwarz! Gebt ihm ein faires Verfahren, und dann hängt ihn! Auch die Modernisierung spielte bei dieser Selbstverleugnung eine Rolle. Die Schwarzen wollten mit ihrer alten Musik nichts mehr zu tun haben, die Musiker spielten kein Banjo mehr, und das Publikum wollte keinen Country-Blues mehr hören. Meine Mutter weigerte sich, vom Süden zu erzählen. „No talk about the south“, hieß es bei uns daheim. Meine Großeltern, meine Tanten und meine Mutter hatten es kaum erwarten können, aus dem verdammten Süden wegzukommen. Egal wohin, nur weg. Da stellte sich mir doch die Frage, warum die Schwarzen ihre kulturellen Traditionen wegwarfen, während die Weißen alles pflegten, was irgendwie alt war.

Sie haben ja daraufhin viele der großen Alten des Blues noch persönlich kennengelernt und mit ihnen gespielt...

Ich wollte einfach mehr über die alten Formen der Musik herausfinden. Oft wissen die Leute recht wenig über die Musik, die sie machen. Man kann ja heute einfach das Radio anstellen, und schon hat man Musik. Früher gab es zwei Arten, wie man an Musik herankommen

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konnte. Entweder war man reich, dann ging man in die Konzerthalle, oder man trieb sich in Spelunken und auf Plätzen herum, wo manchmal auch Musiker spielten. Ich ging also zu den Fundamenten zurück.

Da wäre zuerst die Stimme, und schon hat man Musik. Dann die Hände – mehr Musik. Man kann Stimme und Hände auf verschiedene Weise kombinieren – noch mehr Musik. Dazu kommt das Pfeifen. Man kann also auf drei oder vier Arten Musik machen, bevor man überhaupt erst ein Instrument in die Hand nimmt. Die Musik ist in den Menschen. Im Gegensatz dazu fängt klassische Musik erst mit Instrumenten an.

Oft wird eine Überlegenheit der klassischen Musik gegenüber anderen Formen von Musik behauptet, weil sie aufgeschrieben ist, was Distanz ermöglichen soll – und damit eine höhere Komplexität und Rationalität.

Die Lieder in der Kirche, bei der Arbeit oder wenn man singend die Straße runtergeht, sind alle nicht aufgeschrieben. Nimm Afrika, wo überall Musik gemacht wird ohne die Hilfe von Noten. Ein Umstand, der diese Leute trotzdem nicht davon abhält, zu denken, daß ihre Musik sich mit jeder anderen Musik auf der Welt messen kann. Daß die weiße westliche Musik der Kolonialisten heute als die einzig wahre Musik gilt, hat mit nichts anderem zu tun als mit Macht: mit der Frage nämlich, wer die Definitionsgewalt besitzt. Wenn diese Sichtweise allerdings länger anhält, verlieren die Leute die Erinnerung an die Tatsache, daß es Musik schon gab, bevor das Metronom erfunden wurde.

Count Basie, einer meiner Haupteinflüsse, spielte Hunderte von Konzerte, nahm zig Schallplatten auf – und konnte lange Zeit keine einzige Note lesen. Einer seiner Musiker konnte das nicht glauben und ging eine Wette ein. Sie legten ihm die Partitur von einem seiner Leib-und-Magen-Stücke aufs Klavier. Count schaute sich die Notenblätter an und fragte: Was ist das?

Wo liegen genau die Unterschiede in den Konzepten „schwarze Musik/Mündlichkeit und „klassische Musik/Schriftlichkeit“?

Viele klassische Musiker üben nur Noten, aber sie spielen keine Musik, bevor das Orchester zusammenkommt. Das Ergebnis ist dann das Stück Musik, das durch Zusammenspiel entsteht. Im Unterschied dazu spielt man in der mündlichen Tradition von Anfang an „richtige“ Musik. Vier Instrumente genügen, etwa Baß, Schlagzeug, Gitarre und Saxophon, und man kann die unglaublichsten Sachen machen. Es kann wie eine Big Band klingen. Man improvisiert. Es gibt keine Beschränkungen. Man kann alles spielen. Je mehr man allerdings die Musik zu organisieren versucht, desto präziser muß jeder einzelne spielen, und desto weniger Freiräume bleiben. Das Gegenbeispiel dazu ist allerdings King Sunny Ade. Er leitete ein riesiges Ensemble, der Gruppensound ist jedoch noch weit mächtiger als die Summe der einzelnen Musiker. Warum? Jeder kennt exakt seinen Platz und ist in der Lage, zu jedem Zeitpunkt zu improvisieren. So werden die Möglichkeiten ungeheuer potenziert. Das ist allerdings ein Musikkonzept, das uralt ist und sich über Jahrtausende auf dieses Niveau entwickelt hat.

Mit schwarzem Blues haben weiße Rockmusiker größere Erfolge erzielt und mehr Geld verdient als Schwarze. Wie empfinden Sie diese Situation?

Wie es scheint, sind die Originale niemals so populär wie die Plagiate. Der Beschiß begann aber schon viel früher. Zu Zeiten der Minstrel-Shows schwärzten Weiße ihre Gesichter, spielten Banjo, und jedermann lachte und amüsierte sich darüber, weil sie vorgaben, schwarze Barden nachzuäffen. Nun gibt es das Stereotyp, daß wir Schwarze uns darüber aufregen sollen, wie etwa die Rolling Stones oder Eric Clapton mit ihren Imitationen unseres Blues reich geworden sind. Meine Ansichten darüber sind sehr wechselhaft. Einerseits kann man deswegen schon wütend werden, andererseits geht, wenn man zu negativ darüber denkt, der universelle Aspekt des Blues verloren. Die Schlußfolgerung daraus wäre: Weiße können keinen Blues spielen. Was nicht stimmt. John Hammond – ein Weißer –, der den schwärzesten Blues spielt, den ich kenne und näher an den Quellen ist als jeder andere. Auf einer bestimmten Gefühlsebene sind sich doch alle Menschen recht ähnlich. Jede Kultur kennt das Gefühl der Trauer, es findet sich immer nur ein anderer Ausdruck.

Diese kulturellen Unterschiede halte ich allerdings für genauso wichtig wie das, was uns verbindet. Deshalb richtet sich meine Wut weniger gegen Individuen, sondern mehr gegen das System der Ungerechtigkeit. Wenn Smokey Robinson ein Lied singt, nennen sie es Rhythm & Blues, wenn es die Rolling Stones aufnehmen, sagen sie plötzlich Popmusik dazu. Das sind rassistische Trennungslinien.

Diese Art von institutionalisiertem Rassismus ist so tief eingegraben, daß die Leute schon gar nicht mehr merken, daß sie sich rassistisch verhalten. Wenn also Weiße den Blues spielen, ist für mich entscheidend, ob sie den Leuten, von denen sie die Musik gelernt oder abgeschaut haben, Respekt zollen oder nicht.

Der Blues hat sich – anders als Rap und HipHop – von seinem ursprünglichen Milieu entfernt. Heute wird er meist in Konzertsälen gespielt. Ist das eine Gefahr für die Musik?

Ich bin sehr glücklich darüber, daß ich die Möglichkeit habe, diese Musik der Welt in Konzertsituationen zu präsentieren. Das bedeutet doch, daß die Leute wegen der Musik kommen und nicht wegen eines rinks oder der Frauen. Natürlich ist eine klassische Konzertatmosphäre manchmal etwas störend, weil die Leute sich bewegen wollen und das in den Sitzreihen nicht können. Am besten ist es, wenn es Platz für beides gibt, dann können die einen sitzen und zuhören, und die anderen tanzen, denn Blues ist Tanzmusik.

Heute wird allerdings mehr zu HipHop getanzt. Wie denken Sie darüber?

Ich mag Rap. Er ist sehr politisch, sehr radikal, sehr informativ. Und es gibt diese direkte Verbindung zum Blues und zu den noch älteren Formen schwarzer Musik. Die Kids reduzieren die Musik auf die Grundelemente: Rhythmus und Worte, also Trommeln und Gesang, wie in Afrika. Es gab bei den Kindern auf der Straße schon immer Versionen davon: das Seilhüpfen der Mädchen und die Abzählverse der Jungen. Sie hatten kein Geld für Instrumente, trotzdem gab es immer Musik. Viele meiner Altersgenossen sagen: „Rap – das ist doch keine Musik!“ und stellen dabei nicht in Rechnung, was es heißt, dort zu leben, wo diese Kids herkommen.