Mit Bomben gegen die Autonomie

■ Bagdad führt in Kurdistan Krieg gegen Hilfsorganisationen

Der kurdische Mitarbeiter von „Medico International“ konnte die Handgranate gerade noch mit dem Fuß wegkicken, sonst wären in dem Treibstofflager der Hilfsorganisation 25.000 Liter Diesel in die Luft geflogen. Vermutlich irakische Geheimdienstler waren für den Anschlag Mitte November im nordirakischen Ranya verantwortlich. Drei Tage später fuhr ein Auto in der Region auf eine Panzermine. Die sechs kurdischen Insassen wurden zerfetzt.

Die irakische Führung tut alles, um den Demokratisierungsprozeß in Irakisch-Kurdistan zu sabotieren. Irakische Soldaten schießen regelmäßig Felder und Ansiedlungen an der Demarkationslinie in Brand, und von Bagdad bezahlte Agenten machen Jagd auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Im März starb dabei ein Mitarbeiter der französischen Hilfsorganisation „Handicap“. Im Oktober entging der Vorsitzende der „Kurdish Reconstruction Organization“ (KRO) nur knapp dem Tod. Eine Bombe, die Anfang November unter einem Auto vor dem Büro der „Caritas“ in Zakho explodierte, richtete glücklicherweise nur Sachschaden an. Und erst am 26. November wurde vor der Universität in Sulaimaniya eine Autobombe entschärft.

Die Attentate haben zur Folge, daß die ausländischen Mitarbeiter der Hilfsorganisationen nur noch selten und unter größten Sicherheitsvorkehrungen längere Fahrten in entlegene Gebiete unternehmen. Hinzu kommen regelmäßige Angriffe iranischer und türkischer Truppen auf das Gebiet. Die Türken behaupten, Guerillas der PKK zu jagen, und die Iraner attackieren angeblich Stellungen iranisch- kurdischer Peschmerga. Dabei werden regelmäßig von den Hilfsorganisationen wierder aufgebaute Dörfer bombardiert und kurdische Familien getötet.

Um die Kurden zu tyrannisieren, nutzt die irakische Führung aus, daß der abtrünnige Landesteil infrastrukturell immer noch vom Rest des Irak abhängig ist. Im August kappten irakische Techniker die Stromzufuhr aus einem Kraftwerk im irakisch kontrollierten Mossul in das kurdische Dohuk. In der Stadt brach dadurch auch noch die Trinkwasserversorgung zusammen.

UN-Mitarbeiter vor Ort äußern sich erbost über die Untätigkeit der Weltorganisation gegenüber der irakischen Führung. Das Abstellen des Stroms sei ein eindeutiger Verstoß gegen die UN-Resolution 688, die der irakischen Führung verbietet, ihre eigene Bevölkerung zu unterdrücken.

In den letzten Monaten demonstrierten Kurden mehrfach gegen die UNO, der sie vorwerfen, sie im Stich zu lassen. Vorläufiger Höhepunkt war im Oktober eine dreiwöchige Straßenblockade. Rund 6.000 Kurden, vornehmlich aus Dohuk, errichteten Barrikaden auf jener Straße, die von der kurdischen Grenzstadt Zakho in die irakisch kontrollierte Erdölstadt Mossul führt. Dadurch wurden türkische LKWs daran gehindert, im Tausch gegen billiges irakisches Benzin Lebensmittel und andere Waren in das irakische Kernland zu liefern. Die Aktion mußte abgebrochen werden, weil die irakische Führung als Vergeltung keinen Treibstoff mehr in den Norden lies. Zudem ist die kurdische Regierung auf den von türkischen LKW- Fahrern entrichteten Zoll angewiesen.

Mittlerweile stehen die irakischen Kurden mit der türkischen Regierung in Verhandlungen über die Lieferung von Strom nach Dohuk. Die Kurden zögern, weil der türkische Strom zu teuer ist und die Anbindung an das türkische Stromnetz ihre Abhängigkeit von der Türkei noch steigern würde. Die Kurden sind auf die Hilfe der UNO angewiesen und vom Wohlwollen der Alliierten abhängig. Die täglich über der Region kreisenden US-amerikanischen, britischen und französischen Kampflugzeuge bilden den einzigen militärischen Schutz vor einem irakischen Einmarsch in Kurdistan. Die kurdische Regierung verfügt kaum über Mittel, um den Wiederaufbau der rund 4.500 zerstörten Dörfer und die Instandsetzung der lebenswichtigen Agrarwirtschaft zu fördern. Nicht zuletzt durch das UN- Embargo gegen Gesamtirak hängt Irakisch-Kurdistan am Tropf westlicher Länder. Mit deren Mitteln sind 20 Prozent der Dörfer wieder aufgebaut worden. Ausländische Hilfe führte auch dazu, daß sich die irakischen Kurden mittlerweile zu einem hohen Grad mit selbst angebautem Getreide versorgen können. Durch diese Hilfe konnten größere soziale Unruhen und einer erneute Massenflucht verhindert werden.

Die türkische Regierung, die einen blutigen Krieg gegen die eigene kurdische Bevölkerung führt, ist mit 18 Millionen US-Dollar in die humanitäre Hilfe in Irakisch- Kurdistan eingestiegen. Die kurdische Regierung akzeptiert diese Hilfe aus Not, aber auch aus politischem Kalkül. Denn die Hilfsgüter ausländischer Hilfsorganisationen erreichen nur über türkisches Gebiet den Nordirak, und die Eingreiftruppen der Alliierten sind ebenfalls in der Türkei stationiert. Die türkische Regierung ist an halbwegs stabilen Verhältnissen im Norden Iraks interessiert, um zu verhindern, daß wieder Hunderttausende irakische Kurden über die Grenze fliehen. Elfriede Mann

Die Autorin besuchte für eine nichtstaatliche Hilfsorganisation Irakisch-Kurdistan.