Elbo – der längste Treuhand-Krimi wird spannend

Bei der Schlacht um den größten ostdeutschen Baukonzern Elbo hat Treuhand-Vorstand Günter Rexrodt viel Geld ausgegeben / Ein Prozeß in Berlin könnte Klarheit über die damalige Schlachtordnung bringen  ■ Von Nils Klawitter

Als Heinz Krahmer am 3.Januar 1992 in einem Massagesalon in Singapur gewalkt wurde, traf ihn der Hirnschlag. Noch während der Bremer Kaufmann im Koma lag, erkundigte sich sein Anwalt Hans- Jürgen Stieringer bei der „Transatlantischen Lebensversicherungs-AG“ in Hamburg nach dem Versicherungsschutz des Sterbenden. Krahmer hatte vorgesorgt: Als er am 9.Januar gegen 10.50Uhr stirbt, werden 14 Millionen Mark aus seiner Police fällig. Seinen Testamentsvollstrecker Hans-Jürgen Stieringer hatte er besonders üppig bedacht, mit elf Millionen Mark. Doch Stieringer kann das Geld nicht ausgeben. Seit einem Jahr sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit in Untersuchungshaft. Die Treuhandanstalt hat ihn angezeigt. Der 62jährige Rechtsanwalt soll der DDR- Verweserin 11,6 Millionen Mark über ein Bauunternehmen der Elbo-Gruppe entzogen haben.

Mit dem gerade eröffneten Prozeß gegen Stieringer hoffte die Treuhand das Kapitel „Elbo“ zu schließen. Doch Stieringer scheint zäh, und am 19. September ist beim Berliner Landgericht eine zweite Strafanzeige in der Sache „Elbo“ eingegangen. Sie richtet sich gegen ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt: Günter Rexrodt. Er soll über 30 Millionen Mark Steuergelder veruntreut haben. Die Anzeige kommt von BEOTEG, dem „Bund der Opfer deutscher Einheit und Treuhandgeschädigten e.V.“ Eine Handvoll Elbo-Angestellter, die an die Vision eines großen ostdeutschen Baukonzerns geglaubt haben, gründeten den Bund letzten September. Inzwischen hat der Verein 137 Mitglieder, der Vorsitzende Reinhard Schulz war sogar schon im Fernsehen. Für Elbo hat er seinen Job in Köln aufgegeben. In Rostock sollte er Geschäftsführer der „Elbo“-Ferienanlagen werden. Nun lebt er von Erspartem.

Ende Mai 1990: Heinz Krahmer zieht gen Osten. Er will investieren, 100 Baumärkte errichten. In der kapitalismusbetäubten DDR wirken solche Angebereien Wunder. Hans Hagen vom Wohnungsbaukombinat Rostock ist von Krahmer beeindruckt. Er erzählt ihm, daß der volkseigene Betrieb am Mittwoch, den 30. Mai 1990, in zehn Einzelunternehmen zerfallen soll. Krahmer wittert seine Chance. Am Abend des 29. Mai entwickelt er ein Konzept zur Übernahme des Kombinats. Schon am 30. Mai stimmen die Betriebsleiter Krahmers Konzept zu. Um das Kombinat zu erwerben, braucht Krahmer nur noch die Treuhand, er braucht Dieter Klemm, den Treuhand-Niederlassungsleiter in Rostock. Klemm sollte das Volkseigentum treuhänderisch verwalten. Doch Ende Mai 1990 denkt niemand mehr ans Verwalten. Das Volkseigentum soll meistbietend verscheuert werden.

Am 6. September erwirbt Krahmer die Kaufoption für die Elbo Bau AG, das ehemalige Baukombinat Rostock. Die Krahmer- Wortschöpfung „Elbo“ („Von der Elbe bis zur Oder“) verrät: Der Bremer will mehr, will „das Spiegelbild eines westdeutschen Baukonzerns“ schaffen, sieht sich als Bau-Tycoon des Ostens. Bis Oktober erwirbt er von den zuständigen Treuhand-Niederlassungsleitern Kaufoptionen für drei weitere Baugesellschaften: die Mecklenburger Bau-Union AG (MBU) Neubrandenburg, die Märkische Bau-Union GmbH (MBU) Potsdam und die Norddeutsche Tiefbau und Umweltschutz GmbH (NTU) Rostock.

Im November 1990 beginnen die Kaufverhandlungen zwischen der Treuhand und Krahmer. Während der Verhandlungen kreiert der Bremer Diplomingenieur die Elbo Bau Verwaltungsgesellschaft. Sie soll das Hirn der Elbo- Gruppe sein, eine Art Holding, die die vier Unternehmen koordinieren soll. Für diese Verwaltungsgesellschaft bezahlt Krahmer keinen Pfennig. Das Geld kommt allein von der Treuhand. Sie läßt die Geschäftsführer der Bauunternehmen Beraterverträge mit der Verwaltungsgesellschaft abschließen. Die Beraterverträge und die Optionen verschaffen Krahmer – so schreiben Verhandlungsführer der Treuhand in einem internen Vermerk im Sommer 1991 – eine „eigentümerähnliche Stellung“.

Für die Angestellten von Elbo ist Krahmer nicht bloß Eigentümer. Er ist ihr Retter: Von 13.000 Angestellten soll keiner entlassen werden, so sein Plan. Die Verwaltungsgesellschaft organisiert Umschulungen und Weiterbildungen. Bis September 1991 verliert keiner der Angestellten den Arbeitsplatz. Von den Umschulungen profitieren sie bis heute. Im Rostocker Elbotel sitzt eine Krahnführerin an der Rezeption.

Die Kaufverhandlungen mit der Treuhand laufen schleppend. Krahmer macht mobil, schweißt den Namen „Elbo“ in die Köpfe der Menschen: Für 1,5 Millionen Mark wird ein Sponsorenvertrag mit dem Fußballclub Hansa Rostock geschlossen. Die Kicker kämpfen in Elbo-Trikots gegen den Abstieg, bei jedem Heimspiel flattern Elbo-Fahnen im Stadion – gezahlt hat die Treuhand. Die Geschäftsführer der Bauunternehmen dürfen nach Florida fliegen, für 160.000 Mark. Besprochen wurde dort ein Plan von Krahmer: Von den Unternehmen nicht ausgeschöpfte Kredite der Treuhand sollten auf einem Notaranderkonto seines Anwalts Hans-Jürgen Stieringer geparkt werden. Krahmers Begründung, sofort nach Abschluß des Kaufvertrages liquide sein zu wollen, leuchtete den meisten Geschäftsführern ein: Sie überwiesen nach und nach 71 Millionen Mark auf das Notaranderkonto Stieringers.

Daß die Treuhand sich heute als arglos Ausgesaugte gebärdet, erstaunt: Der Abfluß der Gelder war ihr nicht nur bekannt, er geschah mit ihrer Zustimmung. In den Aufsichtsräten der Baugesellschaften hatte sie ihre Leute sitzen. Noch im Sommer 1991 heißt es in einer Vorlage der Verhandlungsfüher an den Vorstand der Treuhand: „Wir empfehlen, den Verkauf (an Krahmer) zu genehmigen.“

Trotz der schleppenden Verhandlungen ist Krahmer noch hoffnungsvoll. Er habe mit der Treuhand das „Paket“ für sechs Unternehmen geschnürt, berichtet er Anfang Juni 1991. „Wenn alles schief geht, gehören auf jeden Fall vier Firmen mit den Standorten Rostock, Neubrandenburg und Potsdam zur Elbo Bau AG.“

Es geht alles schief. Die Verhandlungen platzen. Krahmers Düsseldorfer Anwälte können das nicht glauben. Am 25.Juli schreiben sie an Hans Krämer, Vorstandsmitglied der Treuhand und verantwortlich für den Bereich Bauindustrie: „Im Anschluß an diese Schlußverhandlung vom 28.05.1991 (gingen wir) davon aus, daß nunmehr nur noch zwischen den Juristen ,Vertragskosmetik‘ betrieben werden müßte... “ Am 18.Juni präsentiert die Treuhand statt dessen einen ganz neuen Vertragsentwurf „zu Lasten“ von Krahmer, so dessen Anwälte. Der Treuhand waren Zweifel an Krahmers Bonität gekommen. Die Treuhand verhandelt nur zum Schein, behauptet Krahmer. In Wirklichkeit wolle sie Elbo in harmlose Einzelunternehmen zerschlagen, um so die westdeutsche Bauindustrie zu schützen.

Klar ist eines: Wenn sich Elbo in kleine Unternehmen auflöst, müssen Angestellte entlassen werden. Die vier Parteien im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns wollen das vereint verhindern: Elbo soll als Verbund erhalten bleiben.

Inzwischen ist Günter Rexrodt in den Vorstand der Treuhand berufen worden. Im September 1991 übernimmt er das Ressort Bauindustrie von Hans Krämer. Rexrodt hat einen Verdacht: Über die Beraterverträge, so schwant ihm, hat Krahmer 32,6 Millionen Mark von Elbo-Firmenkonten abgezogen – zu viel. Ende September 1991 kündigt Rexrodt die Verträge fristlos.

Rechtsanwalt Hans-Jürgen Stieringer hat eine andere Sicht der Dinge: „Die von Rexrodt monierten Fehlbeträge in Millionenhöhe waren Entgeld für umfangreiche Beratungsleistungen“, sagt er der Berliner Zeitung im April 1992. Auch Falk Spahn, Geschäftsführer der Verwaltungsgesellschaft, wundert die plötzliche Geschäftigkeit Rexrodts. „Die Treuhand war seit dem Frühjahr 1991 über die Beraterverträge informiert und sie hat uns regelmäßig Controler ins Haus geschickt“, erzählt er.

Fest steht: Krahmers Verwaltungsgesellschaft hat für ihre Beratungen viel Geld verschlungen. Noch höher als das Beratergeld war die Summe, die auf dem Notaranderkonto seines Anwalts lag. Beide Vorgänge hat die Treuhand zumindest geduldet. Das wissen auch die Verantwortlichen der Treuhand. Fragt man nach dem Grund des Scheiterns, wird von allen auf Krahmers mangelnde Bonität verwiesen. „Bei mir kam einmal eine Dame von einer Bank aus Hawaii vorbei. Die sagte, sie könne den Kaufpreis von 172,5 Millionen Mark bezahlen, aber das war auch alles“, berichtet Helmut Ofterdinger, der damals für die Treuhand verhandelte. Was Ofterdinger nicht weiß: Im Sommer 1991 erklärt sich die Münchener Domberger-Gruppe bereit, die Finanzierung des Kaufpreises zu übernehmen. Vertreter der internationalen Immobilienfirma teilen dies Rexrodt mehrfach persönlich mit. Doch der scheint sich daran nicht zu erinnern – in Interviews beharrt er auf Krahmers Zahlungsunfähigkeit.

Anfang Oktober 1991 ist Krahmers Traum eines großen ostdeutschen Baukonzerns ausgeträumt. Nach der Kündigung der Beraterverträge steht seine Verwaltungsgesellschaft vor dem Konkurs. Das Geld für die Gehälter muß der Geschäftsführer Falk Spahn bei der Treuhand und Krahmer erbetteln. Auf Krahmers Weisung versucht Falk Spahn das Unmögliche: Er bietet sich mit seiner Verwaltungsgesellschaft der Treuhand zum Verkauf an. Baudirektor Gustav Schmidt, Rexrodt direkt unterstellt, ist verblüfft über dieses Angebot, das ihm Ende November vorgelegt wird. Er weiß, daß die Treuhand ehemaliges volkseigenes Vermögen privatisieren soll, aber nicht westdeutsche Holding- Gesellschaften kaufen darf. Am 6.12.1991 schreibt er deshalb an Spahn: „Nach gründlicher Prüfung... teile ich Ihnen mit, daß die Treuhandanstalt das Verkaufsangebot von Herrn Krahmer nicht annehmen kann.“

14 Tage später ist Günter Rexrodt mit Heinz Krahmer verabredet. Es weihnachtet, und die beiden werden sich schnell einig: Für einen Kaufpreis von 100.000 Mark und einen Abgeltungsbetrag von 8,444 Millionen Mark will Rexrodt die Verwaltungsgesellschaft kaufen. Was Krahmer nicht weiß: Einen Tag zuvor, am 19. Dezember 1991, hat die Treuhand ihn und seinen Anwalt Hans-Jürgen Stieringer wegen Betrugs angezeigt. Um zu zeigen, wie ernst es der öffentlich-rechtlichen Anstalt ist, liefert der Leiter des Direktorats Recht, Manfred Balz, der Berliner Staatsanwaltschaft vier Ordner Beweismittel mit. Rexrodt, der als zuständiges Vorstandsmitglied schon lange von der geplanten Anzeige weiß, läßt Krahmers Anwalt Stieringer – ob nun untreu oder nicht – den Vertrag aufsetzen. Am 6.Januar genehmigt Rexrodt den von Stieringer gefertigten Vertrag.

Wie tief die Treuhand für dieses Geschäft in die Tasche greifen muß, weiß auch Wolf Schöde, sonst gut unterrichteter Pressesprecher der Treuhand, nicht: „Das sind einige Millionen, die hier zusammenkommen. Nun ist da auch einiges verrechnet worden. Es hat Forderungen gegeben, wie das dann immer so ist, wenn man etwas kauft, wird aufgerechnet, sozusagen, Forderungen und Verbindlichkeiten“, berichtet er blumig, doch etwas sinnentleert.

Die Experten der „BDO Deutsche Warentreuhand AG“ haben die Kosten im Auftrag der Treuhand genauer berechnet: 26 Millionen Mark an Verbindlichkeiten sind es, für die die Treuhand nach dem Kauf gerade stehen muß. – Rexrodt findet seinen Kauf dennoch sinnvoll. Dem Geschäftsführer Falk Spahn schreibt er am 31.Januar 1992: „Zweck des Erwerbes war es, einem möglichen Investor der Elbo-Unternehmen in der Gestalt der Elbo Verwaltungsgesellschaft ein Konzept an die Hand zu geben, dessen er sich bei der Strukturierung der Gruppe bedienen kann.“ – Kaum sechs Wochen nach seinem Brief ist Rexrodt anderer Meinung. Im Fernsehen sagt er: „Eine zentrale Konzernführung dort aufzupflanzen, geht gegen die Interessen der Unternehmen... derjenige, der die Gruppe erwerben will, hat möglicherweise ganz andere Vorstellungen von der Gestaltung des Konzerns als eine Verwaltungsgesellschaft... “

Die Suche nach neuen Käufern für die Elbo-Gruppe läuft schleppend. Im März gehen die Arbeiter der Elbo auf die Straße. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze. Unter den Demonstranten: Günter Rexrodt. Er wirbt um Verständnis für die Treuhand und um Geduld. Eine ältere Arbeiterin zischt: „Was wollen Sie denn hier?“

Die internationale Ausschreibung überstehen zwölf Firmen, darunter acht Ausländer. Doch unter der Hand heißt es, nur zwei Bieter hätten eine reale Chance: zwei deutsche. Das befürchtet auch der französische Bauriese Bouyges, mit 23 Milliarden Mark Jahresumsatz und 80.000 Mitarbeitern der größte Baukonzern Europas. Am 9. März beklagen sich die französischen Verhandlungsführer in einem Brief an Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel darüber, daß ihre Bewerbung „sehr disqualifizierend bzw. als lästiger ausländischer Bewerber betrachtet wird.“

Am 9.Juli 1992 wird die Verwaltungsgesellschaft offiziell aufgelöst. Heute gibt es sie immer noch, nur unter anderem Namen. Sie heißt „epsilon“ und verschlingt weiter Geld, denn die Treuhand ist noch damit beschäftigt, sie zu liquidieren. Die Geschäftsführer haben auf Einhaltung ihrer Arbeitsverträge geklagt. Vor Gericht haben sie in erster Instanz gewonnen.

Im Januar 1993 ist Elbo verkauft worden. Dem Bremer Unternehmer Detlef Hegemann hat die Treuhand ein Sonderangebot gemacht: Für 10 Millionen Mark konnte Hegemann vier entschuldete Unternehmen kaufen: die Elbo Bau AG Rostock, die NTU Rostock, die MBU Neubrandenburg und TUSEK Neubrandenburg. Kosten der Entschuldung: 400 Millionen Mark. Von rund 13.000 Arbeitsplätzen sind 3.600 übrig geblieben. Und in den Räumen der ehemaligen Verwaltungsgesellschaft gibt es wieder eine Verwaltungsgesellschaft: „Bauunion Ost“ heißt sie, und soll die Unternehmen koordinieren.

Im Prozeß gegen Stieringer werden nächste Woche die Zeugen vernommen. Vier Aktenordner Beweismaterial sollten die Treuhand ruhig schlafen lassen. Doch letzte Woche bemerkte man emsige Stenographen unter den Prozeßbeobachtern. Nach der Verhandlung eilten sie in die Leipziger Straße – zur Treuhandanstalt.