■ Zur In-vitro-Kernschmelze von Cadarache
: Nur Verrückte wollen beweisen, was nicht beweisbar ist

Die Zeiten, in denen die nuclear community allein die Möglichkeit eines Super-GAU als Panikmache ideologisch verbohrter Anti-Akw-Aktivisten abtat, gehören seit gestern endgültig der Vergangenheit an. Man übt den Ernstfall, im grellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Man übt nicht an mit elektronischen Scheinwelten programmierten Simulatoren, sondern ganz real im Hier und Jetzt. Die Reality- Show von Cadarache dient dabei weniger der von den Machern allseits beschworenen Risikominderung beim nächsten Super-GAU. Dazu wäre es vollkommen überflüssig, die Bevölkerung life und ohne Generalprobe an der Premiere teilhaben zu lassen.

Die Zweifel am sicherheitstechnischen Ernst des 270-Millionen-Experiments werden weiter genährt durch das grundlegende Dilemma, daß ein Super- GAU en miniature einen Super-GAU in Biblis oder Brokdorf eben gerade nicht „maßstabsgetreu“ nachzubilden vermag. Der Verdacht liegt also nahe, daß die skeptische Bevölkerung der eigentliche Adressat des aufwendigen Tuns ist. Um sie geht es und um die Zerstreuung ihrer Nuklear-Ängste. Das erhoffte Signal: Seht her, wir haben die heiße Angelegenheit im Griff! Dabei erliegen die Nuklearstrategen wie schon so oft einem schweren Irrtum. Sie unterschätzen das abgrundtiefe Mißtrauen, das sie sich in den vergangenen Jahrzehnten redlich erworben haben. Wer den Beinahe-GAU von Harrisburg als Nachweis der Beherrschbarkeit westlicher Atomkraftwerke umdeutet, wer nach Tschernobyl auf das U-Bahn-Unglück von London verweist, das im selben Jahr „ebenfalls 31 Tote“ gefordert habe, wer den Hanauer Atommülltourismus nachträglich als Medienskandal entlarvt, der darf sich nicht wundern, daß die Bevölkerungsmehrheit jetzt die kontrolliert herbeigeführte Kernschmelze mit dem Ernstfall verwechselt.

Nur Verrückte, so verselbständigte sich im Vorfeld der Kernschmelze in der Provence die ganz anders gemeinte Botschaft, können mutwillig auslösen, was sie doch sonst beständig mit „kosmischer Sicherheit“ auszuschließen versprechen. Zur nuklearen Vertrauensbildung jedenfalls wird dieser Versuch – unabhängig von der Frage, wieviel zusätzlicher Atommüll damit produziert wird – nicht beitragen. Im Gegenteil, das Restvertrauen in die Verkünder des Restrisikos wird weiter in den Keller rutschen, soweit das überhaupt noch geht.

Leider deutet nichts darauf hin, daß der publizistische Mißerfolg die Verantwortlichen zur Räson bringt. Sie wollen beweisen, was nicht zu beweisen ist, nämlich die Beherrschbarkeit des schlimmsten Falls. Fürs erste gilt auch hier der alte Rechtsgrundsatz: Schon der Versuch ist strafbar. Zumindest in Deutschland. Gerd Rosenkranz