Nach der Zerschlagung Bosniens jetzt auch die Teilung Sarajevos?

■ Bosnische Regierung: Keine Alternative

Genf/Sarajevo (taz/AFP/dpa) – Nach der von UNO und EU bereits sanktionierten Zerschlagung Bosnien-Herzegowinas wird am Genfer Verhandlungstisch jetzt auch die Teilung der einst multikulturellen Metropole Sarajevo diskutiert. Die vom bosnischen Präsidenten Izetbegović geführte bosnische Regierungsdelegation verhandelte gestern darüber mit dem bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić, wonach Groß-Sarajevo etwa im Verhältnis zwei zu eins geteilt werden soll, so daß die Serben ein Drittel der Stadt erhalten würden. Im gesamten Gebiet der Stadt leben nach Angaben der bosnischen Regierung 64 Prozent Muslime, 28 Prozent Serben und sechs Prozent Kroaten. Der bosnische Botschafter bei der UNO in New York, Mohammed Saćirbey, hatte bereits am Mittwochabend erklärt, eine Teilung sei zwar „verabscheuungswürdig“ und erinnere an das „jahrzehntelange Schicksal von Berlin“; da die internationale Staatengemeinschaft jedoch nichts zur Rettung der Stadt getan habe und um das Überleben Zehntausender Menschen zu sichern, gebe es möglicherweise keine Alternative mehr.

Gestern widersprach die bosnische Regierungsdelegation allerdings entschieden der Darstellung von Serbenführer Karadžić, man habe sich bereits auf das Modell von „Zwillingsstädten“ geeinigt. Saćirbey erklärte, eine isolierte Vereinbarung nur über Sarajevo werde es nicht geben. Sie sei nur im Rahmen eines Gesamtpaketes vorstellbar, in dessen Rahmen die Serben den Muslimen die auch von der EU verlangten 3,7 Prozent mehr Territorium in Ost-, Nord- und Nordwestbosnien überlassen. Hierzu habe Karadžić bislang jedoch keinerlei Bereitschaft gezeigt.

In einer Erklärung kritisierte die bosnische Regierungsdelegation, der vom belgischen EU-Ratspräsident Willy De Claes zu Beginn dieser Runde am Montag vorgegebene Verhandlungsrahmen sei „marginalisiert“ worden. Claes hatte erklärt, „die EU erwartet, daß die Serben die notwendigen Gebietskonzessionen machen, um die Forderungen der bosnischen Regierung zu erfüllen.“ Sacirbey machte EU-Vermittler David Owen dafür verantwortlich, daß die Verhandlungen bisher von dieser Vorgabe abgewichen und zu stark auf Sarajevo konzentriert gewesen seien.

Sollten die Verhandlungen letzten Endes eine Vereinbarung über die Aufteilung Sarajevos ergeben, würde das bislang für eine zweijährige Übergangsfrist vorgesehene UNO-Protektorat über die Stadt hinfällig, erklärte der Sprecher der beiden Vermittler Owen und Stoltenberg, John Mills.

Nur am Rande wurde in Genf bislang über einen neuen Vorschlag der bosnischen Regierung für einen Zugang der künftigen muslimischen (Teil-)Republik zur Adria diskutiert. Der Vorschlag sieht einen 500 Meter breiten und 30 Kilomter langen Landstreifen von Mostar über Stolaz bis zum Küstenort Neum vor. Durch diesen Streifen soll eine Straße und möglicherweise eine Eisenbahnlinie führen. Außerdem beansprucht die bosnische Regierung den rund zehn Kilometer langen, derzeit von kroatischen Milizen besetzten Küstenstreifen, der zum bisherigen Bosnien-Herzegowina gehört. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman hatte diese Forderungen schon vor seiner Abreise aus Genf am Dienstag abend zurückgewiesen.

Zum ersten Mal seit Anfang November traf nach Angaben des UNHCR gestern ein Hilfskonvoi in der von Serben belagerten ostbosnischen muslimanischen Enklave Goražde ein. Ungeachtet der Friedensverhandlungen in Genf starteten serbische Militärs im Norden Bosniens gleichzeitig neue Angriffe gegen bosnische Stellungen und Städte; dabei wurden offensichtlich auch Kurzstreckenraketen vom Typ „Luna“ gegen die Industriestadt Tuzla abgefeuert. Dabei gerieten auch die Friedenstruppen der UNO unter Beschuß. Auch an den Fronten der Moslems und Kroaten in Zentral-Bosnien, vor allem um die von Kroaten gehaltene Stadt Vitez, entbrannten wieder neue Kämpfe.

Ungeachtet der Kämpfe rollten gestern weiterhin die Versorgungskonvois der UNO und westlicher Hilfsorganisationen durch Bosnien. Knapp eine Woche nach Wiederaufnahme der humanitären Hilfe für Zentralbosnien kamen die Lastwagenkolonnen weitgehend unbehindert an ihre Fahrtziele. „Allein am Mittwoch wurden in Bosnien 41 Konvois registriert, davon 18 von unseren Blauhelmen in die Krisengebiete eskortiert“, erklärte ein UNO-Sprecher. azu