Gatt: Das Finale beginnt

USA und EU feilschen um Agrarsubventionen – daran ist die Uruguay-Runde des Gatt-Handelsabkommens schon einmal gescheitert  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Lange Nächte stehen bevor. Wenn die Chefunterhändler heute morgen im Genfer Hauptquartier des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens zusammenkommen, entscheiden sie darüber, ob die Uruguay-Runde nach sieben Jahren langwieriger Verhandlungen scheitert oder doch noch zum Abschluß gebracht werden kann.

Die Brüsseler Agrarverhandlungen zwischen den USA und der EU dauerten gestern nachmittag noch an. „Wir sind einer Lösung so nah wie nie zuvor.“ Mit diesen Worten verbreitete US-Landwirtschaftsminister Mike Espy gestern vorsichtigen Optimismus.

Über das Kompromißmodell, mit dem die USA und die EU ihren notorischen Streit um den Abbau von Agrarexport-Subventionen beilegen könnten, darf weiter spekuliert werden. Eine mögliche Kompromißvariante bietet der Vorschlag des französischen Premierministers Edouard Balladuran: Die im Dezember 1992 getroffene, aber seitdem von Paris in Frage gestellte „Blair-House“-Vereinbarung mit konkreten Zahlen und Fristen für den Abbau von Subventionen solle zwar nicht verändert werden (was die USA strikt ablehnen), aber erst später in Kraft treten. Das könnte Balladour gegenüber Parlament und Bauernlobby als Sieg über die USA verkaufen.

In Erwartung eines Ergebnisses versammelten sich gestern abend schon mal die Handels- und Außenminister der EU in Brüssel. Aber einem möglichen Agrarkompromiß müßten auch die übrigen 103 Gatt-Staaten zustimmen. Damit wird in Genf zwar gerechnet. Allerdings hat bislang die Cairns- Gruppe immer wieder erklärt, daß sie nicht jede Vereinbarung zwischen USA und EU einfach übernehmen wird. Die 14 Staaten unter Führung Australiens, deren Außenhandel von Agrarexporten bestimmt ist, vertreten viel weitgehendere Forderungen nach Abbau von Subventionen und Importbeschränkungen als die USA.

Seit ein Abschluß der Uruguay- Runde im Dezember 1990 schon einmal an der Agrarfragen scheiterte, gilt deren Lösung als politische Vorbedingung für eine Einigung auch in anderen zentralen Bereichen eines Gatt-Abkommens, die bis heute ungeklärt sind: Marktzugang für Industriegüter und Fertigprodukte, Handel mit Dienstleistungen und Textil.

Voraussetzung für einen Verhandlungserfolg wäre erstens der Konsens, sämtliche offenen und versteckten Instrumente der Importbeschränkung auf Zölle zu vereinheitlichen. Zum zweiten müssen alle 116 Gatt-Staaten Listen mit konkreten Zollsenkungsangeboten auf den Verhandlungstisch legen für sämtliche Fertigprodukte, mit denen international gehandelt wird. Auch nach der bereits beim G-7-Gipfel Anfang Juli in Tokio erzielten grundsätzlichen Einigung weisen insbesonders die Listen der nördlichen Industriestaaten immer noch große Lücken auf.

In einer Reihe von Dienstleistungssektoren wollen heute die USA, die in den ersten fünf Jahren der Uruguay-Runde als Verfechter einer totalen Liberalisierung aufgetreten waren, ausländische Konkurrenten überhaupt nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen zulassen. Vornehmlich auf den Dienstleistungsbereich zielt auch das Ansinnen, mit dem Washington vorletzte Woche die Gatt-Mitglieder überraschte: Amerika wünscht eine Ausnahmeregel, die der Regierung erlauben würde, Niederlassungen ausländischer Konzerne in den USA künftig nach freiem Belieben mit Sondersteuern zu belegen.

Beim Thema Textil sind die USA ebenfalls weitgehend isoliert Sie wollen die Übergangsphase zwischen dem bisherigen Welttextilabkommen und einem völlig freien Handel auf 15 Jahre ausdehnen. Das Welttextilabkommen erlaubte bisher den Industriestaaten protektionistische Maßnahmen gegen Billigimporte aus dem Süden. Gatt-Generaldirektor Peter Sutherland schlägt in seinem Vertragsentwurf – der Genfer Verhandlungsgrundlage – eine fünfjährige Übergangsphase bis zur vollen Liberalisierung vor.

Die Zeit drängt. Laut Sutherland müssen sämtliche Vereinbarungen bis spätestens zum Abend des 13. Dezember unter Dach und Fach sein, um in den nächsten 48 Stunden noch eine unterschriftsreife Fassung des rund 450 Seiten starken Vertragsdokuments zu erstellen. Am 15. Dezember um Mitternacht Washingtoner Zeit läuft das vom US-Kongreß erteilte Verhandlungsmandat der Clinton-Regierung ab. Ein neues Mandat für den amerikanischen Präsidenten gilt als unwahrscheinlich, Gatt wäre gescheitert.