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Mogelpackung Ausländerkriminalität

Ausländerbeauftragte warnt vor dem „Etikettenschwindel“ der Kriminalstatistik / Die Sondererfassung von nichtdeutschen Tatverdächtigen wird zum Wahlkampfthema umgemünzt  ■ Von Vera Gaserow

Dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein muß das Herz gelacht haben. Fette Beute brachten die Erlanger Polizisten da für die Kriminalstatistik mit. Gleich 20 Striche konnten sie unter die Rubrik „Ausländer“ malen. Und das alles durch einen simplen Taschenspielertrick: per Dienstanweisung hatte die Erlanger Polizei sieben Asylbewerberheime „zu verrufenen Orten“ erklärt. Den grünen Mannen waren damit Kontrollbesuche rund um die Uhr erlaubt. Rein kriminologisch brachten die ständigen Visiten ein lächerliches Resultat: kein einziges Kapitalverbrechen, nicht eine bedrohliche Straftat, dafür zwölf Verstöße gegen das Asylverfahrensgesetz, zwei Fälle von illegalem Aufenthalt, achtmal Hausfriedensbruch. Für die Statistik ein gefundenes Fressen. Argumentationsfutter für die Fortsetzung der umstrittenen Praxis, Ausländer in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gesondert zu erfassen.

Seit 1971 wird in der Polizeistatistik nach Staatsangehörigkeiten unterschieden. Seit zehn Jahren werden Asylbewerber dabei noch einmal gesondert registriert. Seitdem ist das Schlagwort „Ausländerkriminalität“ Dauerbrenner. Und zwar einer mit Tiefenwirkung: Kriminalität, so erbrachte jetzt die Novemberumfrage von Infas, rangiert bei den Deutschen auf Platz drei der wahlentscheidenden Themen. Glaubt man den Meinungsumfragen weiter, dann ist für 57 Prozent der Westdeutschen und 53 Prozent der Ostdeutschen „Ausländerkriminalität“ eines der Hauptprobleme. Wer das Feld nicht rechten und konservativen Demagogen überlassen will, wird sich im Superwahljahr 94 wohl oder übel mit diesen Ängsten auseinandersetzen müssen.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen, hat den Ball jetzt aufgegriffen. In einer Broschüre untersucht sie die Kriminalstatistiken und setzt sich mit den gängigsten Klischees auseinander. Fazit: die Kriminalstatistiken betreiben „Etikettenschwindel“. AusländerInnen in Deutschland begehen zwar kriminelle Handlungen. Daß sie es aber häufiger tun als ihre Nachbarn mit deutschem Paß, läßt sich aus den Zahlen nicht ableiten. Für die Gruppe der sogenannten „Gastarbeiter“ läßt sich die These von der überproportional hohen Straffälligkeit sogar widerlegen. „Der Begriff Ausländerkriminalität“, so die Broschüre, „ist in seiner Allgemeinheit – wo er nicht gezielt vorhandene Vorurteile untermauern soll – unbrauchbar. Er ist auch geeignet den Anschein zu erwecken, als genüge es, die Ausländer und nicht die Kriminalität zu bekämpfen.“

Ein Blick in die Statistik belegt das: der Anteil der Ausländer an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen ist seit den 80er Jahren zwar ständig gestiegen. Er liegt mit jetzt 30 Prozent deutlich über dem – offiziell registrierten – Bevölkerungsanteil der Nichtdeutschen von rund neun Prozent. Jeder vierte ausländische Tatverdächtige allerdings wird wegen eines Verstoßes gegen das Ausländer- oder Asylverfahrensgesetz erfaßt – Straftaten also, die Deutsche gar nicht erst begehen können. In Berlin, so warnte Innensenator Heckelmann diese Woche, hätte derzeit jeder vierte Tatverdächtige einen Asylantrag gestellt. Auch diese beeindruckende Zahl relativiert sich jedoch bei genauerem Hinsehen: ein Drittel der Straftaten entpuppte sich als Verstoß gegen das Asylgesetz oder als Schwarzfahren in der U-Bahn.

Ein Vergleich zwischen der „Kriminaltitätsbelastung“ von Deutschen und Nichtdeutschen sei, so konstatierten 1992 selbst die Innenminister von Bund und Ländern, auch aus einem anderen Grund gar nicht möglich: die Bevölkerungsstatistik erfaßt bestimmte Ausländergruppen gar nicht erst, dazu zählen Touristen oder illegal Einreisende. Bei bestimmten Delikten, wie Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz oder Diebstahl, verzeichnen die Kriminalstatistiken zwar einen überproportional hohen Anteil von Nichtdeutschen. Doch diese Straftaten, so das Ergebnis der Ausländerbeauftragten, gingen oftmals auf das Konto von illegal Eingereisten vor allem aus Osteuropa. Richtiger als die pauschale Verurteilung aller Ausländer sei deshalb der Begriff „Zuwandererkriminalität“, meint Schmalz-Jacobsen. Weiterer „Etikettenschwindel“ der Kriminalitätstatistik: Ausländer werden rascher und öfter angezeigt als Deutsche und geraten weitaus öfter ins Visier der Fahnder.

Doch einige Ergebnisse der Kriminalstatistik lassen sich dennoch nicht schön reden: so werden männliche ausländische Jugendliche deutlich häufiger straffällig als ihre deutschen Altersgenossen. Doch diese statistische Auffälligkeit steht nicht für die ethnische Herkunft, sondern für die Herkunft aus der unteren sozialen Schicht, zu der die meisten Immigranten aufgrund ihres Einkommens und Berufsstandes gehören.

Viele dieser jugendlichen Straftäter sind längst keine Ausländer mehr. Sie sind in Deutschland geboren oder aufgewachsen. Sie könnten Deutsche sein, wenn sie nicht gleich durch ein geringfügiges Delikt ihren Anspruch auf einen deutschen Paß verlören. Sie sind, stellt die Ausländerbeauftragte unmißverständlich klar, „unsere Kriminellen“. Dennoch werden sie doppelt bestraft: nach Verbüßung ihrer Strafe werden sie in ihr vermeintliches Heimatland abgeschoben. Das komme, so Cornelia Schmalz-Jacobsen einer „Verbannung“ gleich. Ihre Forderung, das Problem nicht mit den Menschen abzuschieben und die Politik der Verbannung aufzuheben, bekam diese Woche gleich doppeltes Echo. In Bayern lehnte Innenminister Beckstein diesen Vorschlag kategorisch ab. Und in Niedersachsen wird nun der Petitionsausschuß des Landtags entscheiden müssen, ob ein 23jähriger straffälliger Türke nach Verbüßung seiner Jugendstrafe in eine „Heimat“ abgeschoben wird, die er gar nicht kennt.

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