An den Grenzen der Kunst

■ Das Hamburger Filmbüro sagt die Vorführung des Films „Beruf Neonazi“ ab

„Ein neuer Film macht Propaganda für Neonazis.“ Der Leadsatz eines „Spiegel“-Artikels eröffnete am 15. November 1993 die Diskussion um den Dokumentarfilm „Beruf Neonazi“ von Winfried Bonengel über den Neonazi Ewald Althans. Bonengel ist mit seinen bisherigen Dokumentationen über Neonazis über jeden Zweifel der Kumpanei mit den Faschisten erhaben gewesen. Der Produzent Toni Loeser entstammt einer Familie, die viele Angehörige in Auschwitz verloren hat. Kann man dem Film Beruf Neonazi also überhaupt Propagandaabsichten unterstellen? Seit zwei Wochen läuft der Film in vier Berliner Kinos, stets beendet von spontanen Diskussionsrunden des Publikums. Gleichzeitig prüft die Berliner Staatsanwaltschaft vier Anzeigen, von denen sich drei gegen Althans richten und eine auch gegen Regisseur und Produktionsfirma. Das Hamburger Filmbüro sagte gestern die Vorführung mit anschließender Diskussion am Sonntag morgen ab. Die Jüdische Gemeinde und das Auschwitz-Kommitée hatten die Kultursenatorin gebeten, die Veranstaltung zu verhindern. Das Restaurant Eisenstein in der Zeisehalle sprach sich ebenfalls gegen die Vorführung aus, in der Nautilus-Buchhandlung forderte gestern eine Wandzeitung dasselbe. Die taz bat Hamburger Filmemacherinnen und die Kultursenatorin um ihre Einschätzung von „Beruf Neonazi“.

Dr. Torsten Teichert, Leiter des Hamburger Filmbüros: „Auch im Vorstand des Filmbüros gehen die Meinungen über den Film auseinander. Ein Teil hält den Film zwar für sehr zwiespältig oder mißlungen und in seiner politischen Aussage für mißverständlich, lehnt aber ein Aufführungsverbot ab. Ein anderer Teil hält den Film für eindeutig antisemitisch und propagandistisch und plädiert dafür, den Film in der jetzigen Form nicht mehr aufzuführen. Ich persönlich finde auch, daß der Film deutliche Schwächen hat, doch nicht der Film ist meiner Meinung nach antisemitisch, sondern der in dem Film porträtierte Faschist Althans ist es. Der Film versucht dies zu dokumentieren, ich hätte mir allerdings sehr gewünscht, daß es eindeutigere Distanzierungen von diesem braunen Gedankengut im Film geben würde. Am wichtigsten erscheint mir jetzt zu sein, daß mit dem 'Beweismaterial', das Bonengels Film liefert, den neuen und alten Faschisten um Althans das Handwerk gelegt wird. Ich begreife nicht, warum Althans nach all dem, was er in dem Film an verbrecherischen Dingen sagt, nicht schon längst verurteilt worden ist.

Trevor Peters, Regisseur: „Es ist unfaßbar, daß ein Film über Neonazis der Gewaltfrage ausgewichen ist, diese nicht zu seinem zwingenden Mittelpunkt gemacht hat. Und doch war es für mich ein Gewinn, ihn zu sehen: Das Porträtieren von Nazismus und Sadismus in der Person von Althans und sein unverholener Machtanspruch lehrten mich das Fürchten. Sie sind gefährliche und gut organisierte Leute, Herr Staatsanwalt! Noch etwas macht mir Angst. Ich habe die erhitzte Debatte um diesen Film - Verbotsaufrufe u.s.w. - verfolgt, und wenn Intoleranz von Rechts auf Intoleranz von Links stößt, und dies in Deutschland, dann gute Nacht Demokratie.“

Ralph Schwingel, Autor, Regisseur: „Es gibt Ärger um einen Film. In der Kultur ist man befremdet und empört, die Filmförderung bezieht erst Prügel, dann in weiten Teilen breitbeinig Stellung wie verlangt. Was ist geschehen? Zu sehen und zu hören ist, wie ein Film den Neonazi ungehindert sprechen läßt. Anstatt zu rufen, was Parole ist: „Der Nazi ist ein böser Bube.“ (Wer's sagt, wird selig, hat für immer Ruh.) Als hätte der Film den Nazi sprechen lassen, der ansonsten gar nicht spricht? (Faire faire statt laisser faire?) Mitnichten. Man schlägt den Sack und meint den Esel.“

Margit Czenki, Filmemacherin: „Der Kernpunkt bei diesem Film ist für mich die Szene in der Gedenkstätte in Auschwitz, wo dieser selbsternannte Naziführer wüst herumpöbeln kann, inszeniert und provoziert, begleitet durch das Filmteam. So eine Szene mit in Gang gebracht zu haben, geht für mich über das hinaus, was Filmemacher machen dürfen. Und genau darüber gibt es unter FilmemacherInnen keinen Konsens, keine Kriterien, weil diese Diskussion bisher nie intensiv geführt wurde. Bilder und Töne sind nichts absolutes. Es kommt immer auch auf das politische Umfeld an, in dem sie gesehen und gehört werden. In einer Zeit, wo die Rechten im „Trend“ liegen (die Wahlergebnisse in Italien!!) müssen wir verrückt sein, so einem Typen 90 Minuten in Kinosälen und auf Bildschirmen zu geben, um sich da auszubreiten. Das ist Kamikaze, das bedeutet so einen Typen „salonfähig“ zu machen. Wenn wir (Wir: Die, die sich als Antifaschisten verstehen, oder mindestens nicht wollen, daß die Rechten an die Macht kommen) es jetzt nicht schaffen, Kriterien zu entwickeln, wie die filmische Auseinandersetzung mit den Rechten aussehen könnte, wenn wir nicht unsere eigene neue Bildersprache finden, wird es immer wieder solche (ungewollten) Propagandafilme geben, mit denen wir uns das eigene Grab schaufeln. Ein Anfang hätte die Diskussionsveranstaltung am Sonntag in den Zeisekinos sein können. Ansonsten hoffe ich, daß die Produzenten des Films ihn zurückziehen, nicht ans TV verkaufen, ihn nicht ins Kino geben.“

Christina Weiss, Kultursenatorin: „Die Methoden der rechten Rattenfänger werden in ihrer Abscheulichkeit subtiler, das dokumentiert der Film, auch wenn er selbst stellenweise darauf reinfällt. Dennoch muß der Film gezeigt werden, denn er konfrontiert uns mit den Machenschaften und der Verführungskraft einer durchorganisierten und international operierenden Neonazi-Szene, vor der wir die Augen nicht verschließen dürfen. Meine Empörung richtet sich deshalb weniger gegen die Dokumentation, als gegen das, was in Deutschland offenbar unbehelligt möglich ist. Um einen Mißbrauch des Films auszuschließen, sollte er immer nur im Kontext von kommentierenden Gesprächen gezeigt werden. Nach der Vorführung die erschütternden Berichte der Opfer nazistischer Gewalt zu hören, das wäre die beste Antwort.

Michel Bergmann, Drehbuchautor und (noch) Vorstandsmitglied im Filmbüro: „Der Regisseur hat kritiklos hingenommen, daß ein Verfassungsfeind zum Haß aufruft, daß ein Antisemit in der Gaskammer von Auschwitz den Massenmord leugnet. Das Argument, der Dargestellte entlarve sich selbst, ist dümmlich. Wie kann sich einer entlarven, der keinen Hehl aus seiner Weltanschauung macht? Plädiert man aber für ein Aufführungsverbot, wird es abwegig: Nicht der Film, nicht seine menschenverachtenden Aussagen sind das Thema, sondern das Wort Zensur! Der Regisseur darf alle Tabus brechen, aber seine Kritiker nicht das Tabu Zensur! Als wäre dieser Film exemplarisch für eine Diskussion mit dem Titel: „Verletzung der Menschenrechte kontra Freiheit der Kunst“! Ein wichtiger Film! So tönt es von SZ bis Zeit. Wo leben denn diese Kritiker, wenn sie in diesem Film etwas Neues erfahren haben? Daß rechte Trommler gefährlich sind? Viele sind? Weltweit organisiert? Daß sie bis zu zwei Meter groß werden können und wissen, wie man Armani buchstabiert? Gern wird doziert, nicht der Regisseur sei Schuld, sondern die Politiker, die solche Althänse nicht verhindern. Und wo stehen wir? Wo ist die humanistische Orientierung? Unsere Verfassung mahnt uns zum Widerstand als Pflicht, wenn das Recht verletzt wird. Es gibt Horrorvideos und rechtes Propagandamaterial, das einvernehmlich aus dem Verkehr gezogen wird. Warum soll es bei Beruf Neonazi plötzlich anders sein?“

Christian Bau, Filmemacher: „Althans sagt: „Die Juden im Nacken, vor mir eine Kamera“. So ist es: der Nazi Althans in Auschwitz. Er inszeniert sich, er möchte die Auschwitz-Lüge loswerden, dort, am Ort. Fast niemand reagiert, einzig ein amerikanischer Jude widerspricht ihm. Althans glaubt, der Lüge zu glauben, er möchte es gern. Schnitt, dann steht er allein vor der Kamera, der Jude nicht mehr zu sehen, aber trotzdem anwesend. Althans versucht, durch Faxen und Grimassen die Situation zu überspielen, es gelingt ihm nicht, er kann die Schuld an dem, wofür Auschwitz steht, nicht unterdrücken, es bricht aus ihm heraus. Er möchte noch einen provozierenden Witz über fliegende Läuse, die man vergasen sollte, machen - aber es klappt nicht: er erträgt den Ort (Auschwitz) nicht. „Ich will nicht mehr, ich will weg hier“. Er wird zum verhaltensgestörten Waldorfschüler, der er war. Im Nacken die Juden, vor ihm eine Kamera. Das wäre der entscheidende Moment gewesen; für Bonengel nicht. So wurde es antisemitischer Film .“

Nina Rippel, Filmemacherin: „Natürlich enthält jeder Dokumentarfilm auch inszenierte Elemente, die Protagonisten inszenieren sich vor der Kamera, sie übernehmen in diesen Momenten die Regie und man gibt sie dann als FilmemacherIn auch gerne aus der Hand. Beruf Neonazi ist ein Film, der sich „auch“ die Regie (Bonengel) durch die starke Selbstinszenierung von Althans aus der Hand nehmen läßt - mit fatalen Folgen. Kann man so einen Film über einen politischen Gegner machen, in der Hoffnung, Althans würde sich durch Selbstdarstellung entlarven? Das setzt voraus, daß es zum einen etwas zu demaskieren gibt und zum anderen eine entschiedene Haltung des Regisseurs, etwas entlarven zu wollen. Beides fehlt in diesem Film, der so zum Forum für Althans und seine faschistischen Ausführungen gerät, die in der Lüge über Auschwitz gipfeln. Diese Lüge aber ist das einzige, wo eine Entlarvung überhaupt hätte angreifen können, nämlich an der Frage: Glaubt Althans selber an seine Lüge, um seine faschistische Propaganda von Gewalt reinzuwaschen inklusive der Abgrenzung von den faschistischen Angriffen in Rostock? Zumindest die Chance, an dieser Stelle des Films einzugreifen, ist verspielt und macht so den Film zu einem antisemitischen Propagandafilm. Ob Absicht des Regisseurs oder nicht, spielt dann keine Rolle mehr.“

Hark Bohm, Regisseur: „Keine Märtyrer schaffen! Um jeden Preis in die Medien, verkündet der freundlich schauende Herr Zündel. Die Botschaft wirkte dann von selbst! Das ist gelungen! Der Film ist objektiv nationalsozialistische, antisemitische Propaganda! Ob die Finanziers und Macher das so gewollt haben, spielt keine Rolle. Er wird per Kassette bereits als Schulungsmaterial benutzt. Der Film verkehrt die Werte, die unser Grundgesetz für unantastbar erklärt. Die Herren Zündel und Althans, die unangefochtenen Propagandisten des Völkermords, verletzen die Strafgesetze der Bundesrepublik. Die Macher haben das vielleicht nicht gewollt. Das könnte ihnen vor dem Strafrichter helfen. Die Demokratie gewährt nicht die Freiheit, Völkermord zu propagieren und die Demokratie zu zerstören. Verbieten?

Der Film ist in den Medien. Jetzt würde ein Verbot den von den Nazis erwünschten Skandal noch wirksamer machen, Märtyrer schaffen. Wenn die Macher und Vertreiber tatsächlich für den Respekt vor den Toten des Holocaust und die Werte der Demokratie kämpfen wollen, müssen sie dafür sorgen, daß die dreisten Behauptungen ihrer nationalsozialistischen Filmhelden unmittelbar in ihrem Film selbst widerlegt werden. Es gibt dafür schreckliche, wahre Filme von Erwin Seiser, Marcel Ophüls und anderen. Von jetzt an kann man den Machern Unwissenheit und fehlenden Vorsatz nicht mehr unterstellen!“