„Jedes nicht verkaufte Auto ist ein gutes Auto“

■ betr.: „Grüne – es geht um eure Sa che“, taz vom 24.11.93

[...] Freizeit statt Geldeinkommen, weniger Nachfrage und damit weniger Wachstumsdynamik verspricht uns Willi Brüggen. Nur bewirken seine Vorschläge das genaue Gegenteil. Die von Massenentlassung bedrohten Beschäftigten sollen Arbeitsverkürzung bis hin zu 30 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich erhalten; finanziert zu 50 Prozent durch Produktivitätsfortschritte für die Arbeitgeber und zu 50 Prozent aus Steuer- und Arbeitsamtsmitteln. Letztere vor allem durch Lastenausgleichsabgaben der reichen GeldvermögensbesitzerInnen.

Diese Umverteilungspolitik zur gerechteren Finanzierung von Arbeitsmarktpolitik ist wichtig und richtig. Nur – was machen die VW- ArbeiterInnen mit ihren Netto- Monatsgehältern von bis zu 3.900 DM? Nicht Freizeit statt Geldeinkommen, nein, sie genießen Freizeit bei gleichem Geldeinkommen. Sie werden „ihr gutes Leben“ mit Auto und Eigentumswohnung erhalten, mehr noch, die Anreize, nicht mehr nur einmal, sondern mehrmals im Jahr Fernreisen in andere Kontinente zu unternehmen und unsere Umweltzerstörung zu exportieren, werden erhöht. Die neue Freizeit kann ja auch für Nebenjobs genutzt werden.

Und was haben die Arbeitslosen davon? Brüggen glaubt, wie viele SPDlerInnen und GewerkschafterInnen, immer noch an die alte Mär von Vollbeschäftigung durch Arbeitszeitverkürzung. Alle Arbeitslosen will er so beschäftigen. Er gibt vor, den Weg weg von der Wachstumsdynamik zu kennen, merkt aber nicht, daß die durch Arbeitszeitverkürzung um 50 Prozent produktiveren VW-ArbeiterInnen zusammen mit den neuen, vorher arbeitslosen KollegInnen noch mehr Autos produzieren würden. Ist das das gute Leben, von dem wir Grüne träumen sollten?

All das wird – zum Glück – so nicht funktionieren, und die getroffene VW-Vereinbarung sieht ja auch reale Lohnkürzungen vor. Die Folge von Brüggens Kalkül wären mehr Umweltzerstörung und eine noch verstärkte Ausgrenzungspolitik gegenüber den Arbeitslosen. Die ohnehin knappen Mittel der Bundesanstalt für Arbeit will er noch für die „relativ reichen“ VW-ArbeiterInnen verwenden.

Nein, diese (Denk-)Richtung sollten die Grünen keinesfalls einschlagen. Daran wird sich schon die – künftig regierende? – SPD vergeblich versuchen. Gutes grünes Leben in einer ökologisch umgebauten Industriegesellschaft ist nicht möglich mit gleichbleibenden Einkommen der ArbeitsplatzbesitzerInnen der Mittelschicht. Jedes nicht verkaufte Auto ist ein gutes Auto!

Daß die reichen GeldvermögensbesitzerInnen geschröpft werden müssen – unbestritten. Aber um der wachsenden Zahl von Arbeitslosen wieder zumindest eine Teilzeitbeschäftigung zu beschaffen, gibt es weitaus bessere, wenn auch noch unausgegorene Vorschläge (vgl. taz vom 23.11.93: Bürgergeld statt Sozialhilfe) als Willi Brüggens makroökonomische Umverteilungsrechnungen von gestern. Markus S. Wetter, Dortmund